Lisa J. Smith: Die dunkle Gabe – Visionen der Macht 1 (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Sonntag, 17. Juli 2011 17:45
Lisa J. Smith
Die dunkle Gabe
Visionen der Macht 1 (von 3)
(Dark Visions – The Strange Power, 1994)
Aus dem Amerikanischen von Anne Emmert
Titelgestaltung von HildenDesign/Birgit Gitschier unter Verwendung eines Motivs von Nina Malyna/Shutterstock
cbt, 2011, Taschenbuch, 304 Seiten, 8,99 EUR, ISBN 978-3-570-38000-0 (auch als eBook erhältlich)
Von Irene Salzmann
Kaitlyn leidet sehr darunter, dass sie von ihren Mitschülern als ‚Hexe‘ ausgegrenzt wird, seit bekannt ist, dass sie Visionen hat, die sie in Form verstörender Bilder zu Papier bringt, ohne selber darüber Kontrolle zu haben. Als ihr eine junge Forscherin im Namen des vermögenden Mr. Zetes anbietet, sie für ein Jahr an einem Institut unterzubringen, um an einem parapsychologischen Experiment teilzunehmen, das mit einem großzügigen Stipendium vergütet werden soll, nutzt sie die Chance, aus dem kleinen Nest Thoroughfare in Ohio zu entfliehen und zu lernen, die unheimliche Gabe zu beherrschen.
In San Carlos angekommen, wird Kaitlyn von einem mysteriösen Unbekannten angesprochen, der sie vor etwas zu warnen versucht. Da sie ihn für einen Sektierer hält, läuft sie davon. Dieses Intermezzo ist jedoch gleich wieder vergessen. Im Institut lernt sie vier Jugendliche kennen, die ebenfalls über Talente verfügen: Der sanftmütige Rob ist ein Heiler, Lewis beherrscht die Telekinese, die ruhige Anna kann Tiere kontrollieren, und der düstere Gabriel erweist sich als Telepath.
Kaitlyn ist froh, endlich Freunde gefunden zu haben. Auch in der Schule kommt sie schnell zurecht. Allein die Experimente sind sehr erschöpfend und mitunter … merkwürdig. Als eine Studentin, die schon seit einer Weile für Mr. Zetes arbeitet, mysteriöse Andeutungen macht und plötzlich in ein Koma fällt, ahnen die fünf, dass etwas faul ist. Tatsächlich stoßen sie auf ein geheimes Büro, das rätselhafte Akten und Unterlagen enthält. Da Mr. Zetes überraschend auftaucht, stellt Gabriel eine telepathische Verbindung zu seinen Kameraden her, um sie zur Flucht zu bewegen. Danach lässt sich diese Verbindung, die allen erlaubt, miteinander gedanklich zu kommunizieren, nicht mehr lösen – es sei denn, einer von ihnen stirbt.
Während die Jugendlichen versuchen, das Puzzle zusammenzusetzen, tritt Mr. Zetes mit einer verlockenden Offerte an Gabriel heran. Zufällig wird Kaitlyn Zeugin ihres Gesprächs. Da sie sich um Gabriels Sicherheit sorgt, verlässt sie ihr Versteck und begleitet beide zu Mr. Zetes privater Villa, wo dieser ihnen seine wahren Pläne enthüllt…
Bei der Lektüre fühlt man sich direkt ein wenig an die Comic-Serie „X-Men“ erinnert, an das gleichnamige junge Mutanten-Team, das in einem Institut lernt, seine Talente zu kontrollieren und zum Netzen der Menschheit einzusetzen – beziehungsweise. eigentlich noch mehr an seine Gegner, die Hellions, die von Emma Frost, der White Queen des Hellfire-Clubs, ausgebildet werden und den eigennützigen Interessen der Organisation dienen sollen.
Auch in der Trilogie „Visionen der Nacht“ begegnen sich fünf parapsychisch begabte Jugendliche in einem Institut, sollen dort vorgeblich lernen, mit ihren Kräften umzugehen, werden aber in Wirklichkeit erforscht und benutzt. Diejenigen, die von den Machenschaften Mr. Zetes wissen und zu warnen versuchen, finden entweder kein Gehör oder werden zum Schweigen gebracht. Dadurch misstrauisch geworden, beginnen die fünf grundverschiedenen Mädchen und Jungen, selber Nachforschungen anzustellen, und geraten in große Gefahr.
Die Story klingt komplexer, als sie in Wirklichkeit ist. Gerade erfahrene Leser erraten früh, worum es geht und dass nicht alles so ist, wie von Mr. Zetes und seinen Handlangern behauptet wird. Zwar wahren diese zunächst noch den Schein, doch spätestens auf den letzten fünfzig Seiten wird deutlich, wer Freund oder Feind ist. Letztere erweisen sich als äußerst simpel gestrickt, denn sie sind machthungrig, geldgierig und skrupellos; andere Motive kennen sie nicht. Und auch die Hauptfiguren sind einfache, auf ihre wesentlichen Eigenschaften reduzierte Archetypen, die recht schablonenhaft wirken. Zwischen zweien keimen romantische Gefühle, doch kann daraus durchaus noch eine Dreiecksbeziehung werden.
Der Roman endet etwas abrupt und mit einer unspektakulären Lösung, was einem das Gefühl gibt, die Autorin habe zum Schluss kommen müssen, um nicht das Seitensoll zu überschreiten. Da nicht alle Fragen beantwortet wurden, muss man auch „Der geheime Bund“ und „Der tödliche Bann“ lesen, will man wissen, was genau hinter den Experimenten steckt, ob es den fünfen gelingt, ihren Häschern zu entkommen und wer mit wem sein Glück findet.
„Visionen der Macht“ wendet sich an junge Leser und mehr noch an Leserinnen zwischen 12 und 16 Jahre, die Superhelden-Comics und die darin enthaltenen Themen mögen. Die Charaktere sind zwar nicht gerade tiefgründig, aber doch sympathisch und zur Identifikation geeignet. Die Handlung ist spannend, zeitweilig auch romantisch, doch in Hinblick auf das Alter der Zielgruppe bleibt es bei Andeutungen und unkomplizierten Lösungen. Für ein reiferes Publikum ist das aber schon zu wenig.