Sergej Lukianenko: Spektrum (Buch)
- Details
- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Dienstag, 14. Juni 2011 21:51

Sergej Lukianenko
Spektrum
(C?EKTP, 2002)
Aus dem Russischen von Christiane Pöhlmann
Heyne, 2011, Taschenbuch, 702 Seiten, 9,99 EUR, ISBN 978-3-453-52622-8 (auch als eBook erhältlich)
Von Gunther Barnewald
Nun endlich im handlichen Taschenbuchformat: Lukianenkos bisher wohl bester SF-Roman, „Spektrum“, erstmals 2007 bei Heyne als ziegelsteinförmiges Tradepaberback (mit genau der gleichen Seitenzahl!) erschienen.
Martin Dugin ist ein Moskauer Privatdetektiv, der sich auf besondere Fälle spezialisiert hat. Seitdem nämlich die außerirdische Rasse der Schließer auf die Erde gekommen ist und den Planeten an ein intergalaktisches Transportnetz angeschlossen hat, verschwinden immer wieder Menschen auf fremden Planeten. Martin Dugin hat ein besonderes Talent dafür, die Verschwundenen wieder aufzustöbern und, wenn sie auch nicht zurück zur Erde wollen, immerhin den Entflohenen eine letzte Nachricht abzuringen (oder deren Tod festzustellen, wenn dem so ist). Weil die Schließer als Bezahlung für die Reise nur eine gut erzählte Geschichte fordern, steht vielen diese Reisemöglichkeit offen. Da man bei der Reise auch gleich eine neue, universelle Sprache vermittelt bekommt, ist natürlich auch die Erde inzwischen Ausflugsziel für viele außerirdische Rassen geworden.
Dugin, seines Zeichens sehr gebildet und etwas von sich und seiner russischen Prägung eingenommen, erhält eines Tages den Auftrag, nach der reichen 17jährigen Irina Poluschkina zu fahnden, die aus ihrem wohlbehüteten Elternhaus verschwunden ist. Tatsächlich gelingt es Martin, die junge Frau auf einem mysteriösen Planeten, der Bibliothek genannt wird, aufzuspüren. Sie wird jedoch vor seinen Augen unter seltsamen Umständen getötet. Frustriert reist der Detektiv nach Moskau zurück. Eine andere Spur lässt ihm keine Ruhe, weshalb er auch nach Prärie 2 reist, welcher zivilisatorisch eine Art Abklatsch des Wilden Westens mit modernen Mitteln zu sein scheint. Hier berichten ihm die Einwohner, sie hätten vor Kurzem erst mit Irina gesprochen. Als Dugin dann tatsächlich auf die junge Frau trifft, ist er zu verblüfft, um adäquat reagieren zu können. Und prompt wird sie erneut vor seinen Augen ermordet.
Nun hat der Detektiv „Blut geleckt” und nach dem Bereisen verschiedener exotischer Welten steht für Martin fest: Irina gibt es mehrfach, und ihr Schicksal und das der intelligenten intergalaktischen Zivilisationen scheint miteinander verknüpft zu sein. Doch wird Dugin das Mysterium lösen können?
Dank des großen Erfolges seiner „Wächter“-Bände und der Verfilmung dieser Bücher darf auch endlich mal wieder ein russischer Autor in Deutschland publiziert werden (und in seiner Nachfolge sogar Kollegen wie Dmitry Glukhovsky). Dass dabei wunderbare, intelligente und äußerst unterhaltsame SF entstehen kann, zeigt „Spektrum“ anschaulich. Wer die verschwurbelten, esoterisch geprägten „Wächter“-Bücher versucht hat zu lesen, und angesichts des kruden Verschnitts östlicher Übersinnlichkeit mit westlicher Stephen-King-Imitation schnell das Handtuch geworfen hat, sollte trotzdem zu dem vorliegenden Roman greifen. Zwar gelingt es dem Autor auch diesmal nicht, alle großen Welträtsel zu lösen und das enttäuschende Ende der Geschichte rührt nur daher, dass Lukianenko sich die Latte mal wieder viel zu hoch gelegt hat, aber bis dato ist „Spektrum“ wunderbare Abenteuer-SF.
Die vielen exotischen Planeten mit den unterschiedlichsten Zivilisationen, die Dugin auf seiner Reise kennenlernt, wären es allein wert, das vorliegende Buch zu lieben für sein Ideen und die Exotik. Doch neben dem eigenwilligen, sehr gut ausgearbeiteten Protagonisten, der in seiner stolzen und gebildeten russischen Art ein bunte Note in das Einerlei üblicher SF-Helden bringt, wimmelt das Buch auch vor Anspielungen auf Klassiker des Genres (und zwar nicht nur auf russische!). Schade nur, dass man entweder nicht Willens oder in der Lage war beim Verlag, dies durch Fußnoten zu goutieren. Lediglich bei einem Zitat aus Frank Herberts „Der Wüstenplanet“ bricht man einmal mit der Tradition der Ahnungslosigkeit. Enttäuschend!
Auch stilistisch lässt der Roman, der mit seinen 700 Seiten schon eher ein Lesehemmer wäre, wenn er nicht so durchgängig spannend geraten wäre, eher zu wünschen übrig. Ob dies aber am Autor oder der Übersetzung liegt, vermag der Rezensent nicht zu beurteilen.
Bei der packenden und phantasievoll ausgedachten Handlung verschwinden diese Bedenken jedoch schnell wieder. Und wenn sich Martin Dugin dann auch noch mit dem netten, lokalen FSB-Agenten herumschlagen muss und mit diesem in der Geheimdienstkantine gemütlich essen geht, dann umweht fast ein Hauch Nostalgie aus Sowjetzeiten die Handlung, wie überhaupt Dugin kein Kostverächter ist. Ob Rauchen, Saufen, Fressen oder Vögeln, Dugin ist keinem Vergnügen abhold. Und ob man seinen Patriotismus nun teilt oder nicht, eines bleibt festzustellen: Der Privatdetektiv ist der lebendigste und überzeugendste Protagonist innerhalb der SF der letzten Jahre.
Dies und die ausgefeilten Zivilisationen, die der Autor hier entwirft (zum Beispiel ein Nation flugunfähiger Vögel, die im Erwachsenenalter alle Intelligenz und geistige Flexibilität verlieren und dabei nach außen doch ihre Zivilisation aufrecht erhalten) lassen alle anderen Schwächen von „Spektrum“ vergessen. Zurück bleibt der Eindruck eines wunderbaren Lesevergnügens.