Tobias Reckermann: Das Unikat (Buch)

Tobias Reckermann
Das Unikat
Titelbild und Innenillustrationen: Peter Mordio
Whitetrain, 2021, Paperback, 84 Seiten, 8,00 EUR

Rezension von Elmar Huber

Der Hobby-Schriftsteller Allard Simeon hat gerade seinen dritten Roman beendet, zu dem er auf einer kleinen Messe Phantastischer Literatur eine Lesung bestreitet. Dort stellt sich ihm der Literatur-Agent Gisbert Helling vor, der dem Autor ein ungewöhnliches Angebot unterbreitet. Für eine absurd hohe Geldsumme hat Allard innerhalb von zwölf Monaten sein nächstes Buch zu schreiben, von dem jedoch nur ein einziges Exemplar für einen unbekannten Sammler gedruckt werden soll.

Der ersten Überraschung über diese außergewöhnliche Offerte folgen bald vernünftige Überlegungen. Mit diesem finanziellen Polster - einen Teil des Geldes soll er regelmäßig während des Schreibprozesses erhalten - wäre Allard endlich unabhängig und könnte das tun, von dem er immer geträumt hat: schreiben ohne störende Einflüsse, ohne sich von einem Brotjob oder sonstigen Notwendigkeiten des Lebens ablenken lassen zu müssen.

Absurderweise ist es eben diese Freiheit, die ihn von nun an hemmt. Obwohl der Auftrag mit keinerlei Vorgaben einher geht, hadert Simeon, ob er den unbekannten Erwartungen seines Auftraggebers gerecht werden kann.


In „Das Unikat“ nimmt Tobias Reckermann ein Thema als Aufhänger, das im Umfeld von Kleinverlagen gängige Praxis ist. Gerade im Bereich Phantastischer Literatur sind limitierte Buchausgaben oder Privatveröffentlichungen mit manchmal nur zweistelligen Auflagenzahlen keine Seltenheit und entwickeln sich zu begehrten Sammlerobjekten.

Gleichzeitig wirft der Autor die Frage auf, was ein Schriftsteller möchte. Möglichst viel Geld mit seiner Kreativität verdienen, auch wenn niemand - außer einer Person - das Geschriebene je lesen wird, oder ein möglichst großes und interessiertes Publikum erreichen, um die anerkennenden Früchte seiner Berufung zu ernten?

Es zeigt sich, dass gerade die Situation vermeintlicher Autonomie Simeon kolossal unter Druck setzt, dem Kunden - oder dem Lektor Helling - zu gefallen. Immer mehr kreisen seine Gedanken durch diese Spirale, während er seine Ehe sträflich vernachlässigt. Absurde Gedanken verfolgen ihn bis in seine Träume.

Zwar erzählt „Das Unikat“ keine phantastische Geschichte im klassischen Sinne, doch bleibt durchweg ein Gefühl der Unschärfe. Der Literatu-Aagent tritt als (teuflischer) Verführer auf, der Auftraggeber bleibt komplett gesichtslos. Obwohl gar nicht die Notwendigkeit besteht, verändert sich Simeons Wesen zu seinem Nachteil, nur um diesen geheimnisvollen Käuzen zu gefallen, die trotz ihrer dauerhaften Absenz die Situation beherrschen. Ein Investigationspart - Simeon sucht den Drucker auf, der in Handarbeit das einzige Exemplar seines Buches fertigen soll - wirft mehr Fragen auf, als Antworten zu liefern.

„Das Unikat“ ist in Eigenregie, als Auftakt der Reihe „Whitetrain Underground - Chapbooks & Novellen“ erschienen. Die Novelle hätte in Länge und Inhalt auch perfekt ins Programm von Jörg Kleudgens Privatverlag Goblin Press gepasst. Immerhin wird die Ortschaft Beuringen genannt, die sich als festes Element in den Veröffentlichungen der Goblin Press etabliert hat.

Weitere Erzählungen über besessene Sammel-Leidenschaft sind zum Beispiel Robert Blochs „Der Mann, der Poe sammelte“, Kim Newmans „Der Mann, der Clive Barker sammelte“, Nick Mamatas‘ und Tim Pratts „The Dude Who Collected Lovecraft“ und Eberhard Weidners „Der Mann, der Lovecraft sammelte“ (keine Nacherzählung der Mamatas/Pratt-Story), auch wenn diese alle in eine andere Richtung gehen. Erkennbar sind dagegen einige Parallelen zu Tobias Bachmanns „Ein wahrhaft seltener Privatdruck“ (Goblin Press, 2014; Wiederveröffentlichung 2020 als „Gespenster-Krimi“ 36 („Melusine“, Bastei).

„Das Unikat“ ist eine facettenreiche Novelle über ausgeprägte Sammel-Leidenschaft und die Macht der Verführung, die sich in der Szene phantastischer Kleinverlage abspielt.