Kirill Jeskow: Der letzte Ringträger (Buch)

Kirill Jeskow
Der letzte Ringträger
Übersetzung: Max Schatz
Titelbild & Illustrationen: Michael Wagner
Radiator, 2024, Hardcover, 512 Seiten, 29,90 EUR

Rezension von Christel Scheja

Kirill Jurjewitsch Jeskow ist ein 1956 geborener russischer Autor und Wissenschaftler, der es zu lieben scheint, bekannte Klassiker der Weltliteratur aus einer anderen Sicht noch einmal neu zu schreiben, wie es nun bei „Der letzte Ringträger“ geschehen ist, bei dem er sich Tokiens Epos „Der Herr der Ringe“ vorgenommen hat.


Die Nabel-Lande können aufatmen, denn die Welt ist durch die Zerstörung des Rings endlich vom Bösen befreit und das glorreiche Königspaar wurde in einer strahlenden Zeremonie gekrönt. Alles könnte perfekt sein, wenn man der Legende glaubt, die der Nachwelt von den Siegern hinterlassen wurde.

Aber die Realität sieht anders aus. Zwar mag der oberste Böse besiegt worden sein, geblieben sind aber viele seiner Untertanen und Diener, die nun versuchen, ihren Platz in der Welt zu finden, in dem Bewusstsein, dass auch sie ein Recht dazu haben. Zudem stehen auch die Gewinner vor weiteren Herausforderungen, denn Reiche zu regieren, das ist gar nicht so einfach.


Die meisten Parodien fallen eher durch eine direkte Nacherzählung der eigentlichen Geschichte auf und erzählen das Abenteuer nicht weiter. Kirill Jeskow geht tatsächlich diesen letzteren Weg und nutzt das für eine feine Satire, die mit der üblichen russischen Bedachtheit erzählt wird. Hier sind die strahlenden Helden nicht so siegreich, wie man denken mag, der frischgebackene König etwa kann sich nicht mehr der Liebe seiner elfischen Maid sicher sein, die sich nun genau überlegt, ob sie ihn noch haben will. Und auch die Entsprechungen zu Eomer, Eowyn und Faramir werden von der nüchternen Wahrheit eingeholt.

Es mag zwar sein, dass sie einen größeren Krieg abgewendet haben, aber leider liegen die Reiche am Boden und spinnen die Mächtigen auch weiterhin ihre Ränke und Intrigen, die den Herrschern das Leben schwermachen. Und nicht zuletzt wird auch ein sehr differenzierter Blick auf die besiegten Völker geworfen, denn wie gehen die Orks, Goblins und all die anderen nun damit um, dass sie Grund verloren haben und auch weiterhin gejagt werden? Und haben die Wüstenvölker wirklich so viel Schaden genommen, dass die Gefahr aus dem Osten schwindet?

Der Autor spielt mit den Klischees und vermengt sie mit jeder Menge politischer Gesellschaftskritik, zeigt auf, dass die Sieger vielleicht die Geschichte schreiben, aber letztendlich vielleicht auch nicht allzu viel besser waren als ihre Vorgänger. Allerdings muss man sich als Leser auf den flotten, fast schon modern wirkenden Schreibstil einlassen, der zunächst so gar nicht zum Thema passt, dann aber durchaus Sinn macht, taucht man tiefer in die ruhig erzählte, aber dennoch interessante Geschichte ein, die es leicht macht, die Vorbilder zu erkennen und über deren Fortentwicklung zu schmunzeln.

Dennoch ist es kein Fantasy-Roman von der Stange, sondern eher eine Abrechnung mit den vielen Legenden, Sagen und Geschichten, die auch in der Realität die nüchterne Geschichtsschreibung schon einmal verfremden oder überdecken. Alles in allem steckt die Spannung letztendlich wohl eher im Detail, als in der recht aufgesplitterten Handlung, die vermutlich nicht jede oder jeden ansprechen wird, gerade wenn man mehr nach leichter Unterhaltung sucht.

„Der letzte Ringträger“ ist ein interessantes Buch. Es nutzt die beliebten und bekannten Klischees aus Tolkiens „Der Herr der Ringe“, um vor einem Fantasy-Hintergrund eine intelligente und stellenweise bitterböse Gesellschaftssatire zu erzählen, die vor allem Eines deutlich macht: Die Geschichte schreiben immer die Sieger. Die Wahrheit sieht meistens ganz anders aus.