Helen Dunmore: Nixenblut – Nixen 1 (Buch)

Helen Dunmore
Nixenblut
Nixen 1
(Ingo, 2005, deutsche Erstausgabe: „Indigo – Im Sog des Meeres“, cbj, 2006)
Aus dem Englischen von Knut Krüger
Titelgestaltung von zeichenpool unter Verwendung von Motiven von Mauritius Images/Cusp und Shutterstock/Vividfour
Autorenfoto von Jerry Bauer
cbj, 2011, Taschenbuch, 318 Seiten, 7,99 EUR, ISBN 978-3-570-40036-4

Von Irene Salzmann

Sapphire ist 13 Jahre alt und lebt mit ihren Eltern und dem älteren Bruder Conor an der Küste Cornwalls. Mit dem Meer und seinen Tücken ist die Familie bestens vertraut, und doch fordert es ein Opfer: Der Vater verschwindet mit seinem Boot, die Mutter und die Nachbarn halten ihn für tot.

Allein Sapphy und Conor sind davon überzeugt, dass er am Leben ist – aber wer glaubt schon ihren Behauptungen? Schon bald muss Sapphy befürchten, auch Conor zu verlieren, denn er verbringt viel Zeit am Meer, zusammen mit einem unbekannten Mädchen. Als sie das nächste Mal nach Conor sucht, begegnet sie Faro, einem Mer, der den Oberkörper eines Menschen und den Unterleib einer Robbe hat. Er beruhigt Sapphy und sagt, dass es ihrem Bruder gut geht, solange er mit Elvira zusammen ist. Außerdem lädt Faro Sapphy ein, ihn nach Indigo zu begleiten. Bereits nach nur einem Besuch kann sich das Mädchen kaum noch dem Lockruf des Meeres entziehen. Die Sorge um die Schwester bricht den Bann, den Indigo über Conor geworfen hat. Zusammen mit Granny Carne, einer alten Frau, die der Erde verbunden ist, und der Hündin Sadie gelingt es ihm, Sapphy davon abzuhalten, alles für Indigo aufzugeben. Die beiden erfahren, dass sie in sich zu verschiedenen Anteilen das Erbe des Meeres und der Erde in sich tragen.

Die Situation wird komplizierter, als die Mutter einen Mann kennenlernt, der ihre Lebensfreude zurückkehren lässt. Während Conor Roger, einen Taucher, akzeptiert, will Sapphy nicht, dass jemand den Platz ihres Vaters einnimmt. Nachdem sie Faro verraten hat, wo Roger und sein Freund tauchen wollen, bekommt sie jedoch ein schlechtes Gewissen, da sie befürchtet, dass die Mer die unerwünschten Eindringlinge töten könnten. Zusammen mit Conor begibt sie sich nach Indigo, aber Faro und Elvira wollen ihnen nicht helfen, die beiden Männer vor den angreifenden Robben, die die Geheimnisse von Indigo hüten, zu retten...

Es müssen nicht immer Vampire, Werwesen, Elfen, Engel oder Dämonen sein ..., auch die Nixen, Wassermänner, Selkies und ihre diversen Entsprechungen eignen sich auch dann als Protagonisten für einen spannenden Fantasy-Romans, wenn man nicht den homerischen Beschreibungen der Sirenen, der Sage von der Lorelei, dem Märchen von der kleinen Meerjungfrau oder dem Disney-Film „Arielle“ folgt. Freilich sind die Mer, die Helen Dunmore auftreten lässt, an ihr Element gebunden und halten sich vom Land fern, doch dafür weisen sie zwei Kindern den Weg in die faszinierende Unterwasserwelt, wie sie nur Taucher zu sehen bekommen beziehungsweise wie die Autorin sie sich in ihrer Phantasie ausmalt. Glücklicherweise übertreibt sie nicht mit den wundersamen Schilderungen, die irgendwann zu Lasten der Handlung gegangen wären, sondern konzentriert sich auf die Verbindung, die Sapphy und Conor, obwohl sie Menschen sind, zu den Mer haben und welche Probleme damit einher gehen. Sie gibt einige, aber längst nicht alle Antworten, schließlich sollen noch drei weitere Bände folgen. Auch das Schicksal des Vaters wird nicht geklärt, doch darf man nach den Abenteuern der Geschwister spekulieren, dass er tatsächlich noch am Leben sein könnte und nach Indigo gelockt wurde, wie schon so manch anderer.

Der Geschichte zugrunde liegt der ‚Kampf von Erde und Meer‘, zwei gegensätzlichen Kräften – das Meer überflutet das Land und reißt Teile mit sich; wo sich Ablagerungen sammeln gewinnt die Erde dem Wasser Land ab –, hier repräsentiert durch die Menschen und die Mer, die unterschiedliche Interessen und Vorstellungen haben, im Falle der Menschen gar nicht ahnen, was sie anrichten, wenn sie die Meere erforschen, sie plündern oder vergiften. Und damit schleicht sich durchs Hintertürchen der Umweltgedanke, der mit mahnendem Zeigefinger auf die profitgierigen Menschen zeigt: die Überfischung der Meere, die Zerstörung von Lebensräumen zugunsten des Abbaus von Bodenschätzen, Umweltgifte, die in Gewässer entsorgt werden etc. Gäbe es im Meer eine den Menschen vergleichbare intelligente Spezies, würde sie sich das nicht gefallen lassen und sich wehren – so wie die Mer, wenngleich sie einzelne, oft unschuldige Personen attackieren, da sie die Ursache oder die wahren Schuldigen nicht ausmerzen können, wodurch ihr Selbstschutz einen unangenehmen Beigeschmack erhält. Das nimmt der Erzählung tatsächlich etwas vom sense of wonder und der Spannung. Man liest und liest und fragt sich, wann etwas Überraschendes passiert, wann der Konflikt eskaliert, welche Lösungen geboten werden. Leider bleibt die Handlung vorhersehbar, die dramatischen Geschehnisse sind nicht wirklich packend, und das Ende verebbt auf sehr einfache, wenig überzeugende Weise.

Gelungen ist der Autorin die Beschreibung aus Sapphys Sicht: Das Mädchen klammert sich an ihre Familie, muss einen Verlust verkraften, kann einen zweiten gerade noch verhindern, sie missgönnt der Mutter den neuen Mann, ist dann jedoch drauf und dran, ihre Angehörigen zu vergessen – für die Freiheit, die Indigo ihr bieten kann. Genauso wie Conor, muss sie eine Entscheidung treffen, die ohne Konsequenzen für sie bleibt und die Weichen für das Kommende stellt.

Es steckt durchaus Potenzial in dem Plot, auch wenn sich der Auftaktband eher zäh liest und keine großen Überraschungen bietet. Leserinnen zwischen 13 und 15 Jahre tun sich schwer, da sie mehr Spritzigkeit erwarten, und dem reiferen Publikum dürfte die Lektüre insgesamt zu vorhersehbar sein.