James Corey: Die Gnade der Götter - The Captive‘s War 1 (Buch)

James Corey
Die Gnade der Götter
The Captive‘s War 1
(The Mercy of Gods, 2024)
Übersetzung: Jürgen Langowski
Titelbild: Daniel Dociu
Heyne, 2024, Hardcover, 478 Seiten, 24,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

„Ich glaube, jetzt wurden endlich ein paar wichtige wissenschaftliche Fragen beantwortet. Es gibt da draußen fremde Lebensformen, und sie sind Arschlöcher.“ (S. 120)

Vor Generationen ging der Kontakt der Siedler von Anjiin zur Erde verloren. Eine Katastrophe löschte fast die gesamte Population aus, die Überlebenden starteten von Neuem. Inzwischen haben sie die Zivilisation wieder auferstehen lassen, wird geforscht. Statt Überlebenskampf nun also Politik um Zuschüsse, Etats, Reputation, Animositäten und Intrigen. Die Menschheit hat sich auch auf ihrem neuen Planeten nicht wirklich geändert.

Gerade als einer kleinen Forschungsabteilung der Durchbruch gelingt und sie Erd-DNA mit den Lebensbausteinen des Planeten kreuzen, kommt es zum Erstkontakt. Siebzehn unbekannte Objekte bewegen sich auf den Planeten zu. Sind es Raumschiffe oder ein natürliches Phänomen? Wird der Kontakt, so er denn überhaupt zustandekommt, ein friedlicher sein? Siebzehn Kolonieschiffe der Carryx waren durch den asymmetrischen Raum geflogen - ihre Botschaft: „Ihr untersteht nun individuell und kollektiv der Autorität der Carryx. Ihr wurdet bewertet, euer Platz in den Minderheiten wird jetzt festgelegt“.

Wir begleiten eine Gruppe Forscher dabei, wie sie die Invasion erleben, überleben und sich mit der Situation vertraut machen. Man hat sie aus ihrer Heimat verschleppt, in ein Alien-Gefängnis mit jeder Menge anderer Diener-Rassen gesperrt und fast umgebracht. Jetzt gilt es zunächst, die Nützlichkeit der Rasse Mensch für die Eroberer nachzuweisen und dann das Überleben der Spezies zu sichern…


Mit dem ersten Teil der „Captive's War“-Reihe des gefeierten Autoren-Duos Corey beginnt eine epische Erzählung über eine unterjochte Menschheit und ihr zähes Überleben inmitten eines uralten Krieges.

Die Frage, die sich mir zu Beginn der Lektüre aufdrängte, war, ob Abraham und Franck, nach der Erneuerung der Space Opera mit ihrer „Expanse“-Reihe, zu ähnlich faszinierendem Lesestoff fähig wären. Um dies vorwegzunehmen: Die Beiden haben es sich wahrlich nicht einfach gemacht. Statt ihre „Expanse“-Handlung als Blaupause zu nutzen, starten sie etwas Neues.

Was gleich bleibt, ist der andauernde Perspektivwechsel innerhalb des Buchs und ihre detailreiche und realistisch anmutende Zeichnung ihrer Figuren. Diese verhalten sich schlicht, in ihrer jeweiligen Rolle stimmig, wirken griffig und interessant - auch, weil sie angesichts der traumatischen Geschehnisse verzweifeln, nicht einfach weitermachen, sondern von der Entführung und der Konfrontation mit jeder Menge anderer Alien-Rassen geprägt werden. Ihre Furcht, ihr Unverständnis, ihre Verzweiflung werden glaubhaft aufgearbeitet, können wir Leser gut nachvollziehen.

Wieder gelingt es Corey, um beim Pseudonym zu bleiben, uns die Aliens als fremd, unbegreiflich und schlicht in einem anderen sozialen Kontext agierend, zu beschreiben. Hier wird uns einmal eben nicht eine Fremdrasse kredenzt, die sich wie Menschen in einer Ganzkörpermaske verhalten, sondern Aliens, deren Motivation, deren Werte-System und Verhalten auf unbegreiflich fremden Grundlagen basiert und deswegen nicht eingeschätzt oder vorhergesagt werden kann.

Ich hatte ein klein wenig ein Problem mit unseren Erzählern. Insbesondere der Haupt-Protagonist, ein Forschungsassistent, wirkt lange Zeit wie ein Fremdkörper im Forschungsteam, ist kaum wirklich in die Arbeit eingebunden. Später dann wird er aktiver, übernimmt Verantwortung, ja wandert die Leitung vom Forschungschef hin zu ihm.

Wie von Corey gewohnt, schont er seine Figuren nicht. Es gibt dramatische Ereignisse zu überstehen, Menschen verzweifeln, geben auf, werden verletzt oder getötet. Der Drama-Faktor ist entsprechend hoch, ordnet sich aber immer dem in sich logischen Handlungsfortschritt unter.

So bleibt mir der Eindruck, etwas in seiner überzeugend beschriebenen Fremdheit Neues - in der gewohnt gelungenen Übersetzung Jürgen Langowskis - goutiert zu haben, das den Appetit auf die beiden ausstehenden Fortsetzungen der Trilogie wachhält.