M. A. Carrick: Sturm gegen Stein (Buch)

M. A. Carrick
Sturm gegen Stein
Rabe und Rose 2
(Mask of Mirrors, Rook and Rose 1, 2021)
Übersetzung: Kerstin Fricke
Panini, 2024, Paperback, 390 Seiten, 19,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Willkommen zurück in Nadežra, der Stadt voller Intrigen, Magie und Geheimnissen. Dort begegnen wir der alteingesessenen, inzwischen verarmten Händlerfamilie der Traementis. Der Grand Dame der Familie, Donaia Traementis, und ihrer Tochter steht das Wasser finanziell bis zum Hals. Als Renata - Ren - Viraudax, eine Trick-Betrügerin versucht, sich als vermeintlich lang verschollene Verwandte eben jener reichen Kaufmannsfamilie einzuschleichen, wäre die alte Dame nur zu froh, wenn sie eine Mitstreiterin mehr in ihrer fast ausgestorbenen Familie begrüßen könnte.

Als anlässlich eines Stadtfestes ein Anschlag auf die Adeligen verübt und der Familienerbe der Traementis dabei ermordet wird, beginnt die Angelegenheit für Ren persönlich zu werden. Sie hatte den jungen Mann gemocht, vielleicht gar ein wenig zu sehr, jetzt hat ein Unbekannter sie angegriffen und dabei den Unschuldigen dauerhaft aus dem Spiel genommen. Was als trickreicher Betrug begann, das nimmt nun ernste, tödliche Züge an. Es geht nicht nur um Intrigen, um Macht, es geht um die Herrschaft, die mit allen Mitteln erreicht werden soll. Da wird eine neue Droge ebenso eingesetzt, wie Sprengstoff-Attentate, Aufwiegelung der Massen, Erpressung und Massenmord.

Mittendrin immer Ren, ihre Schwester, die ihr offiziell als Dienstmädchen mit einer Hand für Schneiderei dient, sowie ihr Bruder, der dem Anführer des organisierten Verbrechens zuarbeitet.

Nur zu bald wird deutlich, dass hinter den Anschlägen nicht nur Machtgier und Habsucht stecken - Magie kommt zum Einsatz, eine ermordete Feindin Rens taucht plötzlich aus dem Reich der Träume ganz real wieder auf; die Situation gleicht einem Pulverfass, an dem die Lunte sich dem Schwarzpulver gefährlich nähert…


Hinter dem Pseudonym M. A. Carrick verbergen sich niemand Geringeres, als die beiden Autorinnen Marie Brennan (die uns Lady Trents Memoiren bei Cross Cult geschenkt hat) und Alyc Helms. Zusammen haben sie eine Trilogie (auf Deutsch in sechs Bänden) vorgelegt, deren ersten Roman uns Panini hier in seinem zweiten Teil präsentiert.

Wie bereits im ersten Teil des Originalromans, konzentrieren sich die Autorinnen auf die Stadt, die Intrigen unter den dort Herrschenden, und die Verflechtung im Machtgefüge.

Beigemischt haben sie dann noch das organisierte Verbrechen, das - wie üblich - den Aufstieg in bessere Kreise anstrebt und jede Menge Vorurteile sowie Animositäten. Einen Helden der Geknechteten und Rechtlosen gibt es mit dem Raben auch noch, im Zentrum steht aber weiterhin unsere ebenso charismatische-charmante, wie sympathische Hochstaplerin.

Ihren Coup hat sie dabei schon lange beerdigt, ja hat sich ihrer Opferfamilie, mehr oder minder notgedrungen, offenbart. Dass sie nicht angeklagt, gerupft und gefedert oder vorgeführt wird, überrascht Ren selbst wohl am Meisten. Es geht einfach zu viel vor in der Stadt, insbesondere hinter den Kulissen. Scheinbar hat nur Ren Zugang zu allen Beteiligten, kann die Pläne, wenn auch unter Opfern und mit großer Mühe sowie Hilfe aus allen Richtungen, vielleicht gerade noch vereiteln. Dass sie dabei den Verursachern immer näherkommt, deren Spuren aufnimmt und sie zu enttarnen droht, führt dazu, dass sie angegriffen wird. Wie üblich trifft es zunächst nicht sie selbst, sondern die um sie herum, die nicht so gut geschützt sind. Kinder, ihre Familie, Unschuldige sind es, die am meisten zu leiden haben. Dann kommt es im dramatischen Finale zum Aufeinandertreffen mit den Verantwortlichen, werden Verbündete und Gegner enttarnt, ihre zumeist eigennützigen Motive offengelegt und die Grundlage für die nächsten Bände geschaffen.

Weitern punkten unsere Verfasserinnen mit ihrer zutiefst menschlich gezeichnet Protagonistin. Dass sie Gefühle und Ängste offenbart, macht sie uns als Handlungsträgerin nur sympathischer. Ihre persönliche Historie wird deutlicher, beleuchtet und erklärt uns ihre Phobien und Ziele. Der Handlungsort erinnert mich an das klassische Venedig. Hier erwarten uns Herrschaftsstrukturen, die zwar bekannt sind, aber genug Eigenheiten und Mysterien aufweisen, um den Plot interessant und kurzweilig zu gestalten. Der Drama-Faktor ist entsprechend hoch, der Text selbst wird flüssig ohne Brüche erzählt.

Wie bekannt, geht es dabei um die Auseinandersetzung von Gesellschaftsformen, von unterschiedlichen Volksgruppen, die sich eine Heimat teilen, die zudem klar in vermögend und arm unterteilt sind. Die Frage der Gerechtigkeit, der Verantwortung und der Folgen von Fehlverhalten, werden en passant touchiert. Kann sich, darf sich ein Mächtiger alles erlauben, mit allem durchkommen, ohne jegliche Konsequenzen fürchten zu müssen? Eine Frage, die heute aktueller ist, denn je.

M. A. Carrick ist trotz der eher leisen Töne, die angeschlagen werden, ein fesselnder, interessanter und spannenden Auftakt einer etwas anderen Fantasy-Reihe gelungen. Diese steht in der Nachfolge von Scott Lynchs Loke Lamore (Heyne), Leigh Bardugos „Krähen“-Reihe (Knaur) oder Tyler Whitesides Ardor Benn (Panini) und offeriert uns neben der sehr sympathischen Erzählerin einen komplexen Stadtstaat, der an klassische Vorbilder erinnert und als faszinierende Bühne dient.

Dass dem Band dieses Mal am Ende beigegebene Personenregister erleichtert uns die Zuordnung der Figuren. Zu erwähnen wiederum die Grafik-Abteilung, die eine perfekte, weil Aufsehen erregende und wunderbar stimmige Cover-Gestaltung abgeliefert hat. Leider ist die zu dünne Umschlagpappe, die bei der Lektüre zu Leserillen im Buchrücken führt, weiterhin zu bemängeln.