Nathan Winter: Die Alchemie des kalten Feuers (Buch)

Nathan Winter
Die Alchemie des kalten Feuers
Titelbild: Max Meinzold
Blanvalet, 2020, Taschenbuch, 704 Seiten, 12,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Prinz Oslic lebt im Exil in Doranthal. Dort bürgt er für das Wohlverhalten seines Vaters, der den feinfühligen und wissbegierigen Forscher nach dem Tod der Mutter gerne außer Sicht abgeschoben hat. Zu sehr erinnert er den Herrscher an seine viel zu früh verstorbene Ehegattin, zu sehr unterscheidet der Prinz sich von seinen beiden Stiefbrüdern und seinem gewalttätigen Onkel. Dass Oslics Erfindungen das Überleben viele der Untertanen des Tsharen gesichert haben, dass er den Anbau von Nahrungsmittel und die Kunst der Feldscher revolutioniert hat, hat an seinem Status wenig geändert.

Sein unbändiger Wissens- und Forschungsdrang wird von den Untertanen des Reiches zwar widerwillig anerkannt, geliebt wird der Dritte in der Thronfolge deswegen nicht.

Mit einem selbst konstruierten, künstlichem Arm (lange Geschichte) und verfolgt von einem alternden Ritter als Leibwächter, muss er, nach einem missglückten Diebstahl, plötzlich aus seinem Exil fliehen (noch längere Geschichte).

Auf der Flucht erreichen ihn Hiobsbotschaften. Seine Heimat sei von wilden Horden überfallen, ja überrannt worden, ein Meteor sei auf die Hauptstadt niedergegangen, die Überlebenden versklavt, sein Vater ermordet.

Unterstützt durch Ritter Vargen, dem aus einem Pädophilenring geretteten Mädchen Testri und seiner Ex - einer Attentäterin, die bereits einmal vergeblich versucht hat, ihn zu meucheln - (extra lange Geschichte) macht er sich auf, den Gerüchten von Magie und Hexerei auf den Grund zu gehen - schließlich, das weiß er als Universalgelehrter ja, gibt es so etwas nicht.

Doch dann findet er heraus, dass die Gerüchte vielleicht doch wahr sind, dass drei magische Wesen sein Reich erobert haben und nur ein mystisches Geschöpf bei der Rettung behilflich sein könnte - dazu müsste er aber erst einmal an die Existenz desselben glauben, und das tut er aber auch so etwas von gar nicht, bis…


Hinter dem Pseudonym Nathan Winter verbirgt sich ein deutscher Autor, der bereits vorher bewiesen hat, dass er klassisch aufgezogene Fantasy zu schreiben weiß.

Vorliegend erwartet uns ein wahrer Ziegelstein von Einzelroman. Soll heißen, der Verfasser nimmt sich viel Zeit, uns seine Figuren vorzustellen, die Welt zu beschreiben und die mannigfaltigen Bösewichte zu kreieren. Das geht, gerade zu Beginn - na gut, immerhin fast 200 Seiten lang - zu Lasten des Leseflusses, wobei die Ingredienzien und Einfälle mich immer wieder zum Weiterlesen animiert haben.

Ja, es ist ein klassisch angelegter High-Fantasy-Plot: hier die Guten (natürlich maßlos unterlegen), dort die Bösen, die scheinbar alle Trümpfe in der Hand halten.

Das Pfund, mit dem Winter in der Folge wuchert, sind zum einen seine sehr detailreich und interessant gezeichneten Figuren, die auch immer wieder mit jeder Menge Selbstzweifeln zu kämpfen haben, aber auch die Sprache. Hier hat der Autor wohl ganz bewusst unterschieden, wer spricht, was gesagt, was gezeigt wird. Die verwendete Sprache von Testris und Oslics ist eher vulgär, die des Ritters eher knöchern gehoben, die Beschreibungen dann wiederum ausschweifend und bildhaft. Selbiges findet man leider selten bei gängigen Fantasy-Romanen.

Nun kann man, wie bei ach so vielen Fantasy-Epen sagen, dass eine - deutliche - Kürzung dem Roman gutgetan hätte. Das eine oder andere Kapitel hätte sich problemlos straffen lassen, so manche Wendung führt den Plot nicht wirklich weiter. Und ja, auch der Kollege Zufall ist öfter mit von der Partie - auch wenn in die Zufallsfunde dann wieder eine geheimnisvolle Macht eingebunden wird.

Unsere Hauptfigur ist ein Unikat. Ein verkrüppelter Geistesmensch in einer Welt, wo allein die körperliche Überlegenheit zählt - da hat unser Autor es mit seinem Helden nicht wirklich gut gemeint! Oslic hat dann auch jede Menge Fehler, agiert immer wieder ungeschickt, ja dumm, bemüht sich aber, aus seinen Fehlern zu lernen. Selbstzweifel und Kopfschmerzen sind ihm, im Gegensatz zu seinen von sich selbst überzeugten Feinden, nicht fremd. Kein wirkliches Helden-Material, dafür umso interessanter und überzeugender.

Alles in allem hätte dem Roman, wie gesagt, eine Kürzung gutgetan. Dennoch lesen sich die 700 Seiten durchaus abwechslungsreich und spannend. Man muss ein wenig Sitzfleisch haben und Zeit investieren, bis man sich den großen Offenbarungen nähert, dann aber wartet ein durchaus spannendes Abenteuer auf den Leser.