Harry Crews: Das Fest der Schlangen (Buch)

Harry Crews
Das Fest der Schlangen
(A Feast Of Snakes, 1976)
Übersetzung: Manfred Sanders
Titelbild: Lae Twina
Festa, 2024, Hardcover, 250 Seiten, 22,99 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Willkommen in Mystic, Georgia - in einem Kaff, in dem sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Hier, fernab der großen Metropolen, leben die Menschen weiter wie anno dazumal: Man feiert die Feste, wie sie fallen, heiratet sein Highschool-Sweetheart, putzt seine Waffen und vernichtet den Moonshine gleich Gallonenweise.

Los ist hier Ende der 70er Jahre nicht viel; man schimpft auf die Reichen, die Politik, die Schwarzen, vergreift sich an seiner Frau - so man eine hat - und freut sich auf das eine große Fest des Jahres: das Klapperschlangenfest, das „Rattlesanke Roundup“, ist weit über die Gebietsgrenzen hinaus bekannt und lockt jedes Jahr mehr Besucher von außerhalb an.

Tausende Fremde kommen nach Mystic - eigentlich ein lohnendes Geschäft für den ehemaligen High-School-Vorzeige-Athleten Joe Lon Mackey. Seine Lehrer wissen bis heute nicht, ob er überhaupt des Lesens mächtig ist, er war eben kein besonders guter Schüler, aber auf dem Ascheplatz und dem Rasen im Stadion, da gewann er Preise zuhauf. Doch dies ist lange Her. Jetzt kümmert er sich um einen Trailerpark und eine Bar, betäubt seine Unzufriedenheit, seinen Dauerfrust im Alkohol und erzwungenen, harten Sex.

Die Künstler, Händler, Kiffer und Säufer, die über seine Heimat hereinbrechen, die raren Selbstzweifel, die Joe Lon heimsuchen, mehren nur seinen Frust. Unfähig sein Verhalten zu ändern, muss er seine Aggressionen über sein verkorkstes Leben herauslassen. Dass er damit nicht allein ist, dass die Farbige Lottie Mae auch nach Rache für erlittenes Unrecht schreit, führt dazu, dass die Situation explodiert…


Harry Crews weiß, von was er schreibt. Selbst im tiefen Süden der USA aufgewachsen und beheimatet, kannte er die Denkweise seiner Mitbürger, ihre Verhaltensschemata und den „beiläufigen“ Rassismus, der damals üblich war.

Er präsentiert uns das ungeschönte Bild der inneren Einsamkeit, der Hilflosigkeit, das Gefühl als „White Trash, no Money“ vom Wohlstand, vom Glück abgehängt worden zu sein. Seine Figuren, allen voran Joe Lon, der wohl auch autobiographische Züge trägt, sind in ihrer Situation gefangen. Bildungsarme Schichten, die sich ohne rechte Ausbildung als Tagelöhner oder Gelegenheitsverbrecher gerade so durchschlagen, deren Perspektivlosigkeit sich in Gewalt-Exzessen gegenüber Familienmitgliedern oder Mitmenschen ihrer Umgebung entlädt, werden hier geradezu mustergültig porträtiert. Sarkastisch angehaucht offeriert uns der Verfasser ein ungeschöntes Abbild seiner Heimat. Der tagtägliche, unreflektierte Rassismus, der in gedankenlosen Begriffen wie Handlungen gegenüber Menschen anderer Hautfarbe deutlich wird, die zum Teil sadistische Gewalt, mit der die innere Leere übertüncht werden soll, prägen den Roman.

So ist Harry Crews „Das Fest der Schlangen“ ein kurzer, pointierter Roman, der seine Leser auffordert, sich den Abgründen menschlicher Perspektivlosigkeit und den daraus resultieren Folgen zu stellen und damit auseinanderzusetzen. Dabei erwartet uns ein roher, brutaler, ungeschönter Blick auf das Leben im verarmten Süden der Staaten, der das Bild des allgemeinen Wohlstands und Glücks in den USA ein klein wenig geraderückt.