Leigh Bardugo: Der Vertraute (Buch)

Leigh Bardugo
Der Vertraute
(The Familiar, 2024)
Übersetzung: Alexandra Jordan und Sara Riffel
Knaur, 2024, Hardcover, 448 Seiten, 25,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Madrid im 16. Jahrhundert. Spanien hat den Krieg gegen die verhassten Engländer verloren und ist auf der Suche nach einer neuen, erfolgsversprechenden Strategie. Der schwache König Philipp wendet sich dem Übersinnlichem zu. Er sucht Magier, die das Kriegsglück wenden und schreibt einen entsprechenden Wettstreit aus.

Vorhang auf für zwei Figuren, aus deren Sicht uns die Geschichte berichtet wird.

Da ist zum einen die Spülmagd Luzia Cotado, die bei einer verarmten Adelsfamilie für alles Dreckige und Schmutzige zuständig ist. Sie schläft auf dem Boden der Speisekammer, hilft sich selbst, wenn einmal wieder Not am Mann ist. Dann summt sie in einer archaischen Sprache ein Lied und schon ist der Riss im Kleid geflickt, fügen sich die Scherben wieder zu einem Glas zusammen und sind aus vier Kartoffeln plötzlich deren Acht geworden. Dass sie einer zwangskonvertierten jüdischen Familie angehört darf niemand wissen, ist die heilige römisch Inquisition doch höchst aktiv.

Als ihren Herren das Talent der Magd auffällt, sehen sie die „Vermarktung“ desselben als ihre Chance, im gesellschaftlichen Ansehen endlich aufzusteigen. Sie vergeben Einladungen, in denen Luzia ihre Kräfte demonstrieren muss. Dabei wird auch der ehemalige königliche Sekretär auf sie aufmerksam. Er entsendet einen scheinbar unsterblichen Untergebenen, den Familiar Santángel, um sich des Mädchens anzunehmen und sie zum Wettstreit zu schulen. Sollte Luzia die Gunst des Königs erhalten, winken dem Adeligen die Rückkehr an die Macht und dem Familiar ein Ende seiner seit Generationen andauernden Fron für seine Herrn.


Leigh Bardugo legt einen Einzelroman vor, der sich von dem, was ich bislang von ihre gelesen habe, merklich unterscheidet. Statt uns in eine Phantasie-Welt zu entführen und eine Abenteuer-Handlung zu kredenzen, zeigt sie uns das Spanische Reich des 16. Jahrhunderts. Allerdings bleibt sie bei dessen Zeichnung recht oberflächlich, konzentriert sich stattdessen auf ihre beiden Hauptfiguren. Hier zeigt sie uns eine leise Geschichte von einer behutsamen Annäherung, dem Aufbau von wechselseitigem Vertrauen und einer langsam sprießenden Liebesgeschichte.

Mit inkludiert hat sie darin die gut recherchierte Darstellung der gesellschaftlichen Hierarchien der damaligen Zeit. Gerade die Familie, in der Luzia uns das erste Mal begegnet, dient Bardugo dazu, uns dies zu verdeutlichen. Verarmte Adelige, die am Rand ihrer Gesellschaftsschicht angekommen zwei Möglichkeiten haben: Sie müssen Bankette ausrichten, was sie sich eigentlich nicht leisten können, um Beziehungen aufzubauen und zu pflegen, die ihnen vielleicht die Möglichkeit eröffnen, aufzusteigen und Geschäfte zu machen, oder sie drohen endgültig abzurutschen. Das hat mich interessiert, einfach, weil es für mich Neuland war, ich hier in eine mir fremde Welt eintauchen konnte.

Der eigentliche Plot, die Geschichte Luzias und ihres Wettstreits nebst Romanze, läuft dann recht ruhig ab. Bardugo konzentriert sich darauf, uns ihre Figuren vorzustellen, diese facettenreich zu zeichnen. Dies geht ein wenig zu Lasten des Tempos, bringt uns aber dafür die jeweilige Motivation des Auftretenden, auch der Nebenfiguren, näher.

Insgesamt also ein ganz anderer Roman als wir dies nach den „Grisha“-Bänden erwarten durften, ein Buch, das sich höchst interessant liest und mit seinen Hauptpersonen punktet, für das man sich aber Zeit nehmen sollte, ja muss.