Wolfgang Hohlbein: Infinity – Der Turm (Buch)

Wolfgang Hohlbein
Infinity – Der Turm
Piper, 2011, Hardcover, 620 Seiten, 19,95, ISBN 978-3-492-70223-2

Von Carsten Kuhr

Die Erde in einer Zukunft, Jahrmillionen von heute entfernt. Während einige Wenige im Turm, einem intelligenten, alleswissenden Bauwerk, das einst aus einem toten Stern geschaffen wurde, als Regenten des dritten Sternenreiches der Menschheit deren einstige Macht und Gloria verwalten, leben rund um das unzerstörbare Bauwerk die, die es nicht so gut getroffen haben. Menschen und Quorrl die in einer archaischen Clanskultur von den Brosamen des Turmes eher dahinvegetieren, als zu leben.

Die Belagerung, wie man die den Turm umgebenden Massen nennt, greift in regelmäßigen Abständen die uneinnehmbare Feste an. Ritualisiert wird der seit Jahrtausenden dauernde Status Quo zementiert. Alle 20 Jahre trifft der Anführer der Belagerung die Königin des Turmes. Dieses Mal allerdings ändern sich die scheinbar so festzementierten Abläufe. Nicht nur, dass Clanführer Craiden über erstaunliche Bildung verfügt, er hat auch Zugriff auf verbotene, weit von der Erde entfernt lagernde Waffen. Eine der Bomben, einen Planetenzerstörer, zündet er vor Beginn der Verhandlungen – und der scheinbar allmächtige Turm hat seine liebe Mühe, das Unheil einzudämmen. Mehr noch, statt wilden, ungeordneten Horden unterschiedlicher archaischer Clankrieger marschiert ein geordnetes Heer von weit über einer Millionen Soldaten gegen den Turm auf. Das Undenkbare scheint möglich, der Turm könnte fallen, die unsterblichen Bewohner dem Unbill des wahren Lebens ausgesetzt werden…

Im neuen Hohlbein wartet nicht etwa eine weitere Hommage an Tolkien und Co. auf den Leser, sondern ein Ausflug in eine weit entfernte Zukunft. Das gewaltige menschliche Sternenreich befindet sich längst im Niedergang, der Zerfall ist eingetreten, Wissen und Initiative ging verloren oder wurde an die allmächtige KI abgetreten. Demgegenüber steht eine archaische, von Kampf und Ehrbegriffen beherrschte Stammeskultur, die ihre Wurzeln in uralter Zeit hat. Mit zwei Herzen und Kreisläufen ausgestattet, wissen sich Menschen wie Quorrl ungleich effektiver zur Wehr zu setzen, als ihre Vorfahren.

In diesen Zwiespalt der Gesellschaften, hier die überzüchtete, technisierte aber dekadente Hochkultur, der längst jegliches Verständnis für die Realität abhanden gekommen ist, dort die wilden Barbaren, die voller Elan ihren Weg an die Macht, zu Frieden, Reichtum und Selbstbestimmung suchen, hat der Autor seine Handlung platziert. Natürlich nimmt er dabei Anleihen beim Fall des römischen wie des babylonischen Weltreiches, hat man Ähnliches inhaltlich abgewandelt bereits gelesen.

Dennoch fasziniert das Ambiente. Mit gigantischen, mechanischen Wesen – Libellen wie Leibwächtern – mit dem Bild einer Post-Doomsday-Umgebung und nicht zuletzt mit den beiden Hauptpersonen zieht Hohlbein alle Register seines Könnens. Durch vier zunächst getrennte Handlungsstränge stellt er uns seine Welt und ihre Bewohner vor, gibt uns Einblick in die Machtverhältnisse und die Ausgangssituation. Dass er dabei stilistisch, insbesondere im ersten Viertel des Buchs, immer einmal wieder für meinen Geschmack zu sehr ins Umgangssprachliche abgleitet, sei erwähnt.

Man ahnt als Leser bald, wo die Reise hingehen wird. Der Weg ist das Ziel, fragt man sich doch, wie das angedeutete Finale erreicht werden könnte. Das hat durchaus seinen Reiz, liest sich spannend wenn auch ohne wirklichen Tiefgang.