Carissa Broadbent: The Serpent and the Wings of Night (Buch)

Carissa Broadbent
The Serpent and the Wings of Night
(The Serpent and the Wings of Night, 2022)
Übersetzung: Heike Holtsch & Kristina Flemm
Carlsen, 2024, Hardcover, 540 Seiten, 18,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Willkommen in Obitraes, einer Welt, in der Mensch und Vampir Seite an Seite leben. Nun ist diese Beschreibung nicht wirklich gänzlich zutreffend, herrschen doch die unsterblichen Vampire und betrachten sie die Menschen in ihren Slums als rechtlose Nahrung.

Immer wieder gehen sie auf die Jagd, denn, mal ehrlich, was gibt es schon Delikateres, als frisch gejagtes Menschenblut, direkt von der Quelle, die von Angst und Panik erfüllt, ihren Lebenssaft mit wunderbaren Aromen aus Adrenalin und Cortison angereichert hat.

Auch Oraya musste dies bereits in sehr jungen Jahren erfahren. Ihre Familie war bei einem Krieg zwischen den verfeindeten Vampir-Sippen als Kollateralschaden zwischen die Parteien geraten: Ein paar einfache Vampirkämpfer wollten sich gerade über das schutzlose, verzweifelte Kind hermachen, da schritt ausgerechnet der nachtgeborene König der Vampire ein. Er nahm das Kind in seinen Haushalt auf, zog das Menschenjunge zur toughen Frau heran. Dass er dabei nicht über sie herfiel, kann kaum einer seiner Untertanen glauben, allein, Oraya sieht in ihm den Vater, den sie nie gekannt hat.

Dass sie nachts auf Jagd in den Slums geht, darf der Monarch nicht wissen, dass sie das Kämpfen verinnerlicht hat, dafür hat er gesorgt. Um ihr die Wandelung, bei der viele Menschen nicht überleben, zu ersparen, soll sie am legendären Turnier des Kejari teilnehmen - und gewinnen. Sprich, sie muss alle anderen Vampire besiegen - nur der Wunsch des einzigen, siegreichen Überlebenden wird von der Todesgöttin Nyaxian erfüllt.

Dass sie dabei mit dem Krieger Raihn ein Bündnis eingehen muss, um überhaupt den mitleidlos und mit allen Mitteln geführten Kampf zu überleben und vielleicht für sich zu entscheiden, erweist sich als… schwierig, kommt es doch zu großen Gefühlen zwischen den Beiden.


Was ist das für ein Buch, das die Herzen der zumeist jugendlichen Leserinnen im Sturm erobert hat?

Zunächst ein Buch, dem der Verlag jede Menge Aufmerksamkeit gewidmet hat. Ein tolles, neugierig machendes Cover, darunter versteckt ein reich geprägter Deckel und Buchrücken; natürlich darf da das Lesebändchen nicht fehlen; die vergriffene Erstauflage hatte dazu noch einen Rundumfarbschnitt.

Im Inneren des handwerklich so außergewöhnlich gestalteten Buches, erwartet uns zunächst einmal eines: rasante, brutale, blutrünstige Action. Die Verfasserin hält sich nicht lange damit auf, uns auf ihre Welt vorzubereiten oder uns diese vorzustellen. Nein, es geht sofort hinein in die martialischen Kämpfe, wir finden uns so nach und nach in dieser dunklen Welt der Vampirherrschaft zurecht.

Das ist zum Teil harter Tobak - da wird munter gemordet, werden geschärfte Eisenstücke in Herzen gerammt, Bäuche aufgeschnitten und Vampir wie Mensch gefoltert. Hier liest sich das Werk wie ein Dark-Fantasy-Plot, der seinen Schwerpunkt auf die brutale, gewalttätige Umgebung der Vampirherrschaft legt- Kristoff und Co. lassen grüßen.

Allerdings bleibt die Autorin bei der Beschreibung ihrer Welt doch sehr zurückhaltend, hier hätte ich mir ein wenig mehr Informationen gewünscht.

Der Fokus bleibt über die gesamte Länge des Buches auf den beiden Hauptfiguren gerichtet. Hinzu gesellt sich noch der Vampirherrscher und eine - platonische - Freundin Raihns. Ergo konzentriert sich die Charakter-Zeichnung Broadbents auch hauptsächlich auf diese Figuren, durch deren Augen wir die Welt betrachten. Hier nutzt die Verfasserin den Platz, den sie hat, um uns diese glaubhaft vielschichtig vorzustellen.

Spät kommt dann das, was ich weit früher erwartet, ja befürchtet hatte. Das Enemy-to-Lovers-Motiv - große Gefühle, Romantik; aber, und das ist ebenso ungewöhnlich wie bemerkenswert, halten sich die entsprechenden Szenen in Grenzen, dominieren den Plot nicht, sondern fügen sich stimmig in selbigen ein.

Die Beziehung zwischen dem Herrscher Vincent und dem Menschlein Oraya fügt der Handlung eine weitere Ebene hinzu, die die Lektüre mit interessanten Fragen anreichert. Dazu gesellt sich die je nach Vampirsippe unterschiedliche Magie und jede Menge Geheimnisse, finstere Pläne und blutige Intrigen - schließlich geht es um nichts weniger, als die Macht über die Welt.

Als Fazit bleibt, dass Broadbent einen sehr rasanten, actionreichen Vampir-Plot vorlegt, dem im Frühherbst bereits der nächste Teil folgen wird. Die Leserinnen und Leser werden in eine brutale Welt entführt, in der es um Macht geht, die mit Gewalt gesichert werden soll. Zu diesen martialischen Kämpfen gesellt sich eine Prise Romantik, so dass das Werk für jeden etwas bereithält und fulminant und kurzweilig unterhält.