Lynda Barry: Cruddy - Ein Leben wie Dreck (Buch)

Lynda Barry
Cruddy - Ein Leben wie Dreck
(Cruddy, 1999)
Übersetzung: Elena Helfrecht
Festa, 2023, Hardcover, 428 Seiten, 26,99 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Roberta ist sechzehn Jahre alt und hat in ihrem Leben schon so Vieles erdulden müssen, dass es eigentlich mehr als reicht. Während Altersgenossinnen sich die neuesten Schminktipps geben, Modenschauen veranstalten, shoppen gehen und über den Waschbrettbauch des Klassenkameraden schwärmen, sitzt sie zu Hause. Einem zu Hause allerdings, mit dem man nicht wirklich punkten kann. Eine nervige jüngere Schwester, eine alleinerziehende Mutter, die als Krankenschwester total überlastet ist - in einem heruntergekommenes Haus in einer heruntergekommenen Sackgasse in einer heruntergekommenen Ortschaft - Sie erkennen das Bild?

Als sie elf Jahre alt war, trennten sich ihre Eltern; die Mutter versteckte sie im Auto ihres Vaters, als dieser davonbrauste um sein Erbe einzufordern. Dass ihm dieses seines Erachtens vorenthalten wurde, dass er nun auch noch das quengelige Gör am Hals hatte, trug nicht eben zu seiner guten Laune bei. Er beschloss, sich sein Erbe zurückzuholen und Rache zu üben - blutige Rache; und Roberta immer mittendrin. Kein Wunder, dass sie ein wenig neben der Spur läuft. Sie verstellt sich, geht als tauber Junge durch, während ihr Vater den elterlichen Schlachthof besucht, auf dem auch Leichen für das organisierte Verbrechen fachgerecht entsorgt werden.

Später greift man das Kind in der Wüste Nevadas auf - voller Blut (nicht ihres) - und total verstört. Was soll aus einem solchen Kind schon werden, in einer Umgebung, die Untergang förmlich schreit?


Einmal wieder eine Coming-of-Age-Geschichte. Aber was für eine! Barry berichtet uns von einem Kind, einem Mädchen, das tief verstört miterleben muss, wie zivilisatorische Schranken fallen. Es ist eine Kindheit, wie man sie seinem größten Feind nicht wünschen würde. Die alltägliche Gewalt, die Suche nach der eigenen Identität, nach Grenzen, nach Erziehung und die innere Verzweiflung, als sie dies nicht findet, bestimmen das Buch. Gerade die alltägliche Not, der überall liegende Dreck, der wiederum dazu führt, dass sich die Menschen selbst wie Dreck fühlen und auch entsprechend benehmen, machen den Roman so intensiv, so verstörend. Die Verfasserin weiß wovon sie schreibt. In ihrer Heimat ist sie bekannt für ihre beißenden Karikaturen und ihren wöchentlich erscheinenden Comic, in dem sie immer wieder, allerdings vergleichsweise gemäßigt, ähnliche Themen aufgreift.

So ist dies ein Roman, der sich, bei all der Gewalt und dem Blut, auf die Folgen für das Mädchen, das diesem ausgesetzt ist, konzentriert, der uns betroffen macht und geschockt zurücklässt.