Christian Handel & Andreas Suchanek: Tränen aus Gold und Silber - Spiegelstadt 1 (Buch)

Christian Handel & Andreas Suchanek
Tränen aus Gold und Silber
Spiegelstadt 1
Titelbild: Alexander Kopainsky
Knaur, 2023, Paperback, 346 Seiten, 15,90 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Einst, so lange ist es gar nicht her, gab es nur eine Welt. In dieser lebten Menschen und die Anderswelter Seite an Seite. Sofern die Menschen von ihren übernatürlichen Nachbarn und deren Magie überhaupt etwas mitbekommen haben, wurden diese ignoriert, bestenfalls toleriert.

Mit der industriellen Revolution und dem Siegeszug der Rationalität aber kam es zu immer größeren Zerwürfnissen. In einem großen Kraftakt wurde überall auf der Welt in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts die Anderswelt von der Menschenwelt getrennt. Seitdem verhindert eine eigentlich undurchdringliche Barriere, dass Wesen auf die andere Seite wechseln.

Die Handlung fußt zunächst im Hier und Jetzt. Max kehrt nach Berlin zurück - sein Partner hat ihn betrogen, sein Job ist flöten gegangen und dann erwartet ihn statt seiner liebevollen Oma, die ihn aufzog, ein kaltes Haus und eine Leiche auf dem Friedhof.

Herzversagen, lautet die Diagnose. Ein paar Tage später gabelt seine Jugendfreundin ihn auf und bringt ihn zur Ablenkung in einem Club, in dem die 20er Jahre wieder aufleben. Leyno, der breitschultrige, große Mann an der Theke, erregt sein Interesse; kaum sind die Beiden sich ein klein wenig näher gekommen, wird der Club überfallen, Max findet sich am Boden wieder. Zusammen mit seiner Bekanntschaft fliehen die Drei - zuerst aus dem Club, dann durch Berlin, schließlich durch einen mittels einer magischen Träne beschworenen Spalt in ein Berlin, das sich seit den 20er Jahren technisch nicht fortentwickelt hat - die Heimat seines Lovers, der Ort, an dem die Feen regieren, die Heimat seiner Großmutter und sein Erbe - dumm nur, dass er es damit direkt und ohne Umweg auf Platz 1 der Liste der Personen im Königreich schafft, die die machtgierige, skrupellose Kronprinzessin dauerhaft verschwinden lassen will…


Im ersten Teil eines Zweiteilers nutzen die Verfasser die Gelegenheit, die Mär der Feen, der Anderswelt in der Überlieferung der irischen Folklore mit dem Berlin der 20er Jahre zu verbinden. Allerdings bleibt die Kulisse der Charleston-Ära doch recht blass, erfahren wir wenig über die Zeit, den Savoir-vivre und die Gründe für die vordergründige Lebenslust. Beide Autoren konzentrieren sich auf ihren Plot, arbeiten brav unabdingbare Themen wie Diversität ab und erzählen dann ihre stringent angelegte Geschichte. Diese rast förmlich voran - Zeit für die Einführung der Figuren, der Welt und der Antagonisten bleibt hier kaum. Alles konzentriert sich auf die Hatz nach dem illegalen Immigranten und dem Versuch dieser, der Gefangenschaft zu entgehen. Dabei haben sich unsere Verfasser so einige nicht vorhersehbare Plot-Twists einfallen lassen, inklusive des fiesen Cliffhangers - Fortsetzung folgt im abschließenden Band.

Die Charaktere bleiben zunächst sehr diffus, es bleibt schlicht kaum Raum, um diese vorzustellen. Lediglich Max entwickelt sich nachvollziehbar fort, alle Anderen werden mehr oder minder zu Steigbügelhaltern degradiert.

Optisch dagegen kann man dem Verlag sowie dem Grafiker nur Bewunderung zollen. Das Titelbild ist wunderbar gelungen - der Schriftzug ganz im Stil der 20er, dazu das Motiv der Gold- beziehungsweise Silberträne auch farblich aufgegriffen - das ist ein Highlight, das sicherlich das Interesse der Kundinnen und Kunden weckt.

So ist dies ein Roman, der auf den Punkt geschrieben durchaus interessant und rasant unterhält, der für den abschließenden zweiten Teil aber bislang ungenutztes Potential in Bezug auf die Charakte-Zeichnungen sowie die deutliche Ausarbeitung der 20er-Jahre-Welt hat.