Nova - Magazin für spekulative Literatur 32 (Magazin)

Nova - Magazin für spekulative Literatur 32

Titelbild: Andreas Schwietzke

p.machinery, 2023, Paperback, 228 Seiten, 16,90 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

„Pünktlich, wie die Maurer“, so lautet ein gutes, altes Sprichwort. Nun, auf das „Magazin für spekulative Literatur“, „Nova“, ist Verlass. p.machinery legt, seitdem der Verlag es verlegt, das Magazin in schöner Regelmäßigkeit auf.

Vorliegend erwarten uns neun Geschichten, die von fünf sekundärwissenschaftlichen Beiträgen ergänzt werden.

 

Zu erwähnen ist zunächst natürlich, dass jede der neun Erzählungen von einer passenden, ganzseitigen Farbillustration begleitet wird.

Um was aber geht es?

Thomas Grüter: „Auf eigene Gefahr“ - nimmt uns mit auf eine Zeitreise. Eigentlich war den Touristen versprochen worden, sie für viel Geld zur Kreuzigung Jesu zu bringen, doch stattdessen landen sie 80 Jahre nach der Auferstehung in einer von der Zeitpolizei angemieteten Hütte - mit gar nicht tollen Zukunftsaussichten.

Karsten Lorenz: „Geliebte Savona“ - stellt uns eine KI vor, die den ihr anvertrauten Menschen eine Hiobsbotschaft überbringen muss: die Ressourcen sind gestört, die Menschen, genauer deren Bewusstsein muss, damit sie weiter existieren können, digitalisiert werden - Welcome to the Cyberworld, in der lästige Fragen einfach umprogrammiert werden können.

Victoria Sack: „Obsoleszenz“ - zeigt uns eine Zukunft, in der die Androiden alle Jobs übernommen haben - die Grundsicherung soll dafür sorgen, dass die Menschen zufrieden und glücklich vor sich hin leben... nur, dass diese andere Wünsche und Pläne haben.

Ricky Wilhelmson: „Planetare Verteidigung“ - Was haben eine interstellare Expedition und der Erstkontakt mit einem Hund zu tun? Nun, wenn der außerirdischen Sendbote klein genug ist und in einem Gummibärchen landet...

Aiki Mira: „Nicht von dieser Welt“ - entführt uns in den Norden. Hier, wo sich das Meer monatlich ein weiteres Stück vom Festland nimmt, leben sie, das Vater-Tochter-Gespann. Mit von der Partie, ein biometisches Wesen. Als die Drohnen mit dem Nahrungsnachschub ausbleiben, stellt sich die Frage, wie die beiden Menschen ihr Überleben sichern.

Wolf Welling: „Im Tulou“ - Aliens sind in China gelandet, wurden in die Bevölkerung integriert. Wer dies hinterfragt, wird in eines der unzähligen Umerziehungslager verbracht. Erkan hat die Prozedur hinter sich, dient nun, einsam in seinem Zimmer im Nirgendwo, dem großen Vorsitzenden, indem er über Revisionsanträge brütet und sie möglichst ablehnt. Als er eines Tages auch die Akte einer alten Bekannten trifft aber ist es vorbei mit der vermittelten Ruhe.

Benjamin Hirth: „This War Is Over“ - Deutschland und Frankreich liegen im Krieg. Ein künstlicher Virus sorgt dafür, dass die gesamte Bevölkerung des Erzfeindes verschwindet - zurück bleiben die eingekerkerten Deutschen.

Frank W. Haubold: „Das Mädchen aus dem Jenseits“ - In der umfangmäßig längsten Novelle berichtet uns Haubold von einem Kleriker, der zusammen mit einem Ordensbruder in unbekannte Regionen der Galaxie vorstoßen will. Dass sein Begleiter Suizid begeht, lässt ihn allein zurück - doch das Meer weit hinter einer Grenze sorgt schon bald für eine neue Begleitung; ein neugieriges Wesen opfert seine Unsterblichkeit, um als Mensch an der Seite des Klerikers zu leben.

Brandon Crilly: „Gedächtnis“ - Wir begegnen einem Kriegsveteranen. Während seine Kameraden das ultimative Opfer brachten, hat er mit einer künstlichen Beinprothese überlebt. Dass er seine Tage in der VR-Welt mit den alten Kameraden verbringt, will der Tochter so gar nicht gefallen - doch, ist die Flucht aus der Realität wirklich so schlecht?

Vier Sekundär-Aufsätze runden den Band ab. Zunächst beweist Michael K. Iwoleit einmal mehr, welch schlauer Kopf er ist. Er resümiert über die weltbeste Kurzgeschichte von James Triptree Jr., streift dabei das Medium Story insgesamt und besticht mit intelligenter Argumentation und großem Wissen. Hans Esselborn, Franz Rottensteiner und Dietmar Dath beschäftigen sich in ihren Beiträgen jeweils mit einer Würdigung des letztes Jahr verstorbenen Herbert W. Franke.


Was hat mich persönlich nun besonders angesprochen?

Aika Miras Beitrag besticht durch seine leisen Zwischentöne. Hier gelingt es der Autorin uns die Figuren, deren Schicksal und ihre Welt mit fast skizzenhaften Pinselstrichen miterlebbar zu machen.

Ähnlich leise Töne schlägt Wolf Welling an. Auch er zeigt uns eine Seele, die gemartert, die verstümmelt wurde und letztlich dem Druck nachgegeben und resigniert hat. Dass die Handlung aktuelle Entwicklungen rund um die Umerziehungslager der Uiguren verklausuliert aufgreift, macht sie höchst aktuell.

Frank W. Haubold hat mich mit seiner Geschichte ähnlich berührt, wie der Beitrag des Kanadiers Brandon Crilly. Beide präsentieren dem Leser Charakter-Studien - hier der Veteran, der seine Schuld, überlebt zu haben verarbeiten will, dort der Kleriker, der an sich, seiner Mission und seinem Glauben zweifelt. Beides sind wunderbar eindringliche Erzählungen, die ob der inneren Sorgen und Nöte der Figuren im Gedächtnis bleiben.

Insgesamt, wie gewohnt, sind alle Storys handwerklich gut verfasst, überraschen, verblüffen und berühren - eben das, wofür „Nova“ immer stand und steht.