Robert Aickman: Dunkle Pforten - Sämtliche Erzählungen 1 (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Donnerstag, 12. Januar 2023 09:43
Robert Aickman
Dunkle Pforten
Sämtliche Erzählungen 1
Übersetzung: Usch Kiausch
Titelbild: John Singer Sargent
Festa, 2022, Hardcover, 476 Seiten, 36,99 EUR
Rezension von Carsten Kuhr
Robert Aickman (1914 bis 1981) ist bei uns ein - fast - unbeschriebenes Blatt. Sicherlich, die Freunde der unheimlichen Literatur kennen die beiden dünnen Bände, die damals in den 90ern in „DuMont’s Bibliothek des Phantastischen“ erschienen sind („Schlaflos“ sowie „Glockengeläut“), ansonsten aber blieb das Oeuvre des Meisters der Geistergeschichte bislang bei uns eher unbekannt.
In der von Andreas Fliedner bei Festa herausgegebenen „Weird Fiction“-Reihe soll diesem beklagenswerten Zustand, endlich bin ich geneigt zu sagen, Abhilfe geschaffen werden. Sechs Bände umfasst die projektierte Edition sämtlicher Erzählungen - hoffen wir, dass diese realisiert werden können.
Sowohl R. B. Russel als auch Andreas Fliedner weisen in ihrer jeweiligen Einführung darauf hin, dass die Geschichte Aickmans sich von den Erzählungen anderer Verfasser insoweit unterscheiden, als sie keine Grusel-Plots per se präsentieren. Aickman konzentriert sich auf Geistergeschichten; Erzählungen, in denen das zugrundeliegende Rätsel entweder eine übernatürliche oder eine psychologische Lösung haben könnte. (S. 15)
So stoßen wir zunächst auf eine Handlung, die ganz in der Realität fußt. Unsere Erzähler sind zumeist Figuren, die an einem Scheideweg stehen. Sie sind mit ihrem Leben unzufrieden, brauchen Abstand, sind auf der Suche nach Erfüllung.
Im Rahmen der beschriebenen Handlung lernen sie Menschen kennen, die anders sind. Hier begegnen unsere Erzähler Wesen und Situationen, die weit außerhalb des Gewohnten, des Bekannten, des Erklärlichen angesiedelt sind. Man könnte das Erlebte auf die angespannte Psyche unserer Handlungsträger zurückführen, oder aber eben darauf, dass diese etwas Übernatürlichem begegnen. Dabei hat das Gebotene wenige Schock-Effekte. Es fließt kein Blut, wird nicht gemartert oder verflucht. Stattdessen werden die wunderbar griffig beschriebenen Figuren aus ihrem Kontext gerissen, begegnen Wesen, die auf den ersten Blick alltäglich wirken, sich dann aber anders verhalten als erwartet oder gewohnt. Das Unerklärliche, das Übernatürliche zieht fast behutsam in den jeweiligen Plot ein.
Seien es die beiden Freundinnen, die während einer Wanderung durch England auf ein altes Bahnhäuschen stoßen, aus dem seit Jahrzehnten eine Frau den Zügen zuwinkt; der Journalist, der zu einem Interview mit einer einst gefeierten Bildhauerin in deren halb verfallene Burg nach Slowenien reist oder der Mann, der zur psychischen Entspannung auf eine der englischen Inseln fährt, um dort für eine gewissen Zeit die Liebe zu finden - sie alle begegnen Figuren, die nur auf den ersten Blick alltäglich wirken. Weitere Erzählungen handeln von einer Frau, deren Jugendfreundin ins väterliche Haus zurückkehrt und deren Wesen sich dann fundamental ändert - zurückzuführen vielleicht auf etwas auf dem Anwesen? Oder es geht um eine Küstenstadt, in der einmal im Jahr alle Glocken die Toten zu wecken versuchen; wie wäre es mit dem angehenden Architekt, der sich im Restaurant in eine betörende Frau verliebt? Dank der besonderen Kräfte seines Arztes kommt er seiner großen Liebe näher, als gut für ihn ist.
Bei genauerem Hinsehen kommt das Unerklärliche, das Merkwürdige ins Spiel. Das muss nicht immer mit Furcht vor eben diesem verbunden sein, lässt unsere Erzähler und mit diesen den Leser aber immer wieder ratlos ob der Ereignisse staunend zurück.
So bietet dieser erste von sechs Bänden den Einstieg, soll heißen die ersten literarischen Gehversuche des Verfassers, die bereits seine Stärken zeigen. Es ist seine versierte und glaubwürdige Zeichnung der Figuren, das fast ein wenig märchenhafte Eindringen des Übernatürlichen in das Leben dieser und ihr Versuch, mit dem Erlebten umzugehen. Erzählungen, die Appetit auf weitere Preziosen machen.