Algernon Blackwood: Traumpfade & weitere unheimliche Geschichten (Buch)

Algernon Blackwood
Traumpfade & weitere unheimliche Geschichten
Übersetzung: Achim Hildebrand
Titelbild: Björn Ian Craig
2022, Paperback, 290 Seiten, 15,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

2018 veröffentlichten Michael Schmidt und Achim Hildebrand mit „Aileen“ bereits einen ersten Band mit gesammelten Geschichten des Briten Algernon Blackwood. Der Band beinhaltete alle vorher in den verschiedenen „Zwielicht“-Magazinen erschienen deutschen Erstveröffentlichungen der Erzählungen sowie eine Bonusgeschichte, die bis dato noch nicht erschienen war, und wurde von den Lesern begeistert aufgenommen.

In jeder Ausgabe des „Zwielicht“-Magazins würde auch fürderhin eine deutschsprachige Erstveröffentlichung von Blackwood enthalten sein, so dass wir, nach einer langen Wartepause, wohl mit einem zweiten, vom Publikum nachgefragten Sammelband würden rechnen können - so die nicht unberechtigte Hoffnung.

Dass die Fans des Briten so lange nicht warten wollten, veranlasste Achim Hildebrand dazu, seine karge Freizeit vor der Tastatur zu verbringen und Geschichten aus dem Oeuvre Blackwoods ins Deutsche zu übertragen.

So liegt nun, glücklicherweise viel früher als erwartet, ein zweiter Sammelband vor. Enthalten sind 15 Erzählungen, von denen sage und schreibe neun Stück - die Titelgeschichte war in „Zwielicht“ 17 enthalten - als deutschsprachige Erstveröffentlichungen das Auge des Freundes der unheimlichen Literatur erblicken.

Wie Michael Schmidt mitteilte, wird es anders als bei „Aileen“ in diesem Fall keine Kleinauflage als Hardcover geben.


Auffällig bei den in diesem Band vereinten Erzählungen ist, dass Blackwood sich hier immer wieder auf ganz unterschiedliche Art und Weise mit dem Thema Tod beschäftigt. Ja, es gibt auch Geschichten über die wahre Liebe, über die Schönheit der Natur, doch immer wieder zieht es den Verfasser zu dem Topic der Endlichkeit des Seins, des Übergangs in ein wie auch immer geartetes Nachleben. Sei es, dass alte Götter ihr Jünger zu sich rufen, dass der Tod in Gestalt einer Welle oder eines weißen Pferdes die Seelen einsammelt und fortführt - man merkt den Beiträgen an, dass Blackwood sich mit dieser Thematik beschäftigt und auseinander gesetzt hat. Die Beiträge mit streng phantastischem Inhalt sind deutlich in der Minderheit, wobei der Autor zumeist eine übernatürliche Begebenheit als Aufhänger für die jeweilige Handlung nutzt.

Um was geht es im Einzelnen?

„Traumpfade“ („Dream Trespass“) entführt uns nach Frankreich. Wir begleiten zwei Wanderer, von denen Einer die Herkunft seiner Familie näher ergründen möchte - und dabei in doch sehr direkten Kontakt mit dieser Vergangenheit gerät.

„Smiths Untergang“ („The Destruction of Smith“) berichtet uns von einem Glückspilz. Nicht nur, dass er auf eine erquickliche Ölquelle gestoßen ist, er gründete auch gleich eine ganze, florierende Stadt. Allerdings meint es das Schicksal dann nicht allzugut mit Smithville und ihrem Gründer. Als die Stadt ein Raub der Flammen wird, löst sich ihr Wesen und kehrt zu ihrem Schöpfer zurück - mit gar drastischen Auswirkungen.

„Der Mann von den 'Göttern'“ („The Man of the 'Gods'“) stellt uns einen Komponisten vor. Als er eines Abends im Konzertsaal einschläft, sucht ihn seine Muse heim.

„Skeleton Lake“ („Skeleton Lake: An Episode in Camp“): Ein Jagdausflug in der Wildnis Kanadas endet für einen der Teilnehmer tragisch. Die Geschichte, die der Überlebende seinen Kameraden erzählt, hört sich überzeugend an - bis…

„Inititation“ („Initiation“) preist uns die Schönheit der Natur. Wir lernen einen Erfolgsmenschen kennen, der als Banker an der Wall Street Karriere gemacht hat. Als er seinen Neffen in der Schweiz besucht, sieht er die Natur plötzlich und für ihn gänzlich unerwartet mit anderen Augen. Die Schönheit der Erde kommt ihm zu Bewusstsein und erfüllt ihn mit etwas, das er bislang nicht kannte – Ehrfurcht.

„Wem der Hut passt“ („If The Cap Fits“) berichtet uns von einem britischen Gentleman, dem in seinem Club ein Missgeschick unterläuft. Beim Gehen verwechselt er den Hut und setzt sich die Kopfbedeckung eines depressiven Club-Mitglieds auf - mit gewissen Folgen, als er auf seinem Heimweg an einem See entlangkommt.

„Eine ägyptische Romanze“ („Egyptian Sorcery“): In der Erzählung geht es um einen Engländer, der sein Vermögen auf Anraten eines in Ägypten ansässigen Freundes am Nil investiert hat. Als es zum Börsencrash kommt, findet sich der depressive Investor im Traum plötzlich am Krankenbett der Schwester seines Freundes in Kairo wieder.

„Die Exzentrizität des Simon Parnacute“ („The Eccentricity of Simon Parnacute“) zeigt uns einen ehemaligen Professor, der vom Gesang eines Vogels dermaßen beglückt ist, dass er diesen erwirbt und ihn in die Freiheit entlässt. Eine gute Tat, die Folgen nach sich zieht.

„Meeresrausch“ („The Sea Fit“) entführt uns an die Küste. In einer kleinen Hütte treffen sich Bekannte, Freunde und Expeditionsteilnehmer. Sie erzählen Geschichten, berichten von Erlebtem - bis einer aus ihrem Kreis auf die Existenz alter Götter zu sprechen kommt; ein Thema, das diesem am Herzen liegt, eine These, die Wirkung zeigt - hört doch etwas seine Anrufung.

„Reisende“ („Wayfarers“) zeigt uns die Kraft der Liebe über Leben hinweg, reinkarnieren wahrhaft Liebende um sich zu finden. Ein Mann verunglückt und wacht in der Vergangenheit auf - eine Vergangenheit, in der seine wahre Liebe sich aufopfernd um ihn kümmert und den schwer Verletzten aufopfernd pflegt.

„H.S.H.“ („H.S.H.“): Hier begegnet ein Wanderer in einer einsam gelegenen Hütte einem Besucher, der ihm Ehrfurcht einflößt.

„Das weiße Pferd“ („The Tradition“) erzählt sehr einfühlsam davon, wie das weiße Pferd - eine schöne Metapher für den Sensemann - das Haus einer Familie besucht, um eine Seele heimzuholen.

„Die Flüsterer“ („The Whisperers“) zeigt uns einen Autor, Verfasser von Geschichten, der sich zum Schreiben in eine einsame Mansarde zurückzieht - und Inspirationen der beängstigenden Art bekommt.

„S.O.S.“ („S.O.S.“) entführt uns einmal mehr ins Hochgebirge. Der Schnee hat eine Hütte eingeschneit; zwei Männer und eine junge Braut erwarten den Verlobten - plötzlich meint die junge Frau einen Hilferuf zu hören und stürmt aus der Hütte in die unwirtliche Nacht.

„Eine Episode in der Wüste“ („A Desert Episode“): Das Sandmeer scheint bar allen Lebens zu sein - und doch stoßen unsere Erzähler hier auf Liebe… auch wenn sie, bedingt durch das Schicksal, nicht sein darf.

In „Die goldene Fliege“ („The Golden Fly“) verliert ein Gentleman seinen guten Ruf - etwas, was diesen zutiefst verstört, ihn aber gleichzeitig für die Schönheit der Natur und die Allmacht Gottes öffnet.


So ist dies ein Sammelband, der erneut einen der wichtigsten englischen Verfasser der unheimlichen Literatur vorstellt. Die Geschichten sind weit von dem heute Üblichen grellen Horror entfernt. Hier beschäftigt sich Blackwood einfühlsam mit merkwürdigen, unerklärlichen Begebenheiten und deren Auswirkung auf seine Figuren. Wie bereits erwähnt, dient ihm der unheimliche Aufhänger meist als Einstieg in philosophisch angehauchte Fragen um die Endlichkeit des Seins, um Götter oder die Schönheit der Natur.