Oliver Hoffmann: Moriarty und der Schächter von London (Buch)

Oliver Hoffmann
Moriarty und der Schächter von London
Dryas, 2022, Hardcover, 260 Seiten, 24,00 EUR

Rezension von Carsten Kuhr

Wir kennen die einander so verfeindeten Masterminds: auf der einen Seite der Überdetektiv Sherlock Holmes; ein Mann, manisch, vielleicht gar schizophren, aber auch ein Genie, sein Widerpart, der Meister des Verbrechens, der Mathematik-Professor James Moriarty, der hinter allem Bösen steckt, das London, ja der Welt widerfährt.

Doch war es wirklich so, wie der Chronist, Dr. Watson dem Leser in seinen schnell geschriebenen Kladden weismachen will? War James Moriarty wirklich der König des Verbrechens?

Nun, all diese Überlegungen kümmern die zu diesem Zeitpunkt sechzehnjährige Molly Miller im Mai des Jahres 1894 wenig. Als Gassenkind aufgewachsen fristet sie ihren Unterhalt damit, auf Bestellung eines Antiquitätenhändlers in fremde Häuser einzusteigen und dort wertvolle Gegenstände zu entwenden. Lieber eine erfolgreiche Diebin, als den eigenen Körper zu Markte tragen ist die Devise der aufgeweckten jungen Frau.

Als sie eines Abends in das Anwesen eines Professors einsteigt, um dessen luxuriöses Schreibutensil zu entwenden, wird sie auf frischer Tat ertappt. Statt dass der Professor sie aber den Bütteln übergibt, lädt er sie ein, ihn bei seinen Ermittlungen zu unterstützen.

Der Bruder seiner Nemesis, Mycroft Holmes, hat ihn dienstverpflichtet. Honoratioren der Oberklasse werden grausam ermordet aufgefunden. Sie hängen kopfüber, ihr Blut findet sich unter ihren Köpfen wieder, die Kehle wurde jeweils professionell geschächtet.

Wer nur ermordet angesehene Mitglieder der High Society und was will der Täter erreichen?


Ich greife selten zu Kriminalromanen. Wenn aber Oliver Hoffmann, den ich als Phantastik-Kenner schätze, einen Roman aus dem Sherlock-Holmes-Universum publiziert, dann ist mein Interesse geweckt.

Die Anzahl der Holmes-Pastiche ist Legion. Aus der unübersehbaren Anzahl der entsprechenden Versuche, dem Universum um die Ermittler aus der Baker Street etwas Neues, etwas Eigenes hinzuzufügen, ragte der letztes Jahr bei Zweitausendeins erschienene Roman um Shylock Holmes von Christian von Aster heraus. Nun also ein weiterer Versuch, ein wenig abseits der ausgetretenen Pfade einen Roman zu präsentieren.

Hoffmann macht dies nicht ungeschickt. Er nutzt ein Mädchen, eine junge Frau, die aus verarmten Verhältnissen stammend versucht auf der Straße zu überleben. Sie ist - erstaunlich für ihr Schicksal - integer, weigert sich den einfachen Weg zu gehen und ihren Körper zu Markte zu tragen. Stattdessen steigt sie in Häuser ein, um ihr Überleben zu sichern.

Das ist eine Erzählerin, die ob ihres schweren Schicksals - der Vater prügelte die Mutter zu Tode, die Schwester zog sich, nachdem sich der Vater ihr aufdrängen wollte, ins Kloster zurück - unser Mitgefühl weckt, aber auch unsere Bewunderung, wie sie den Versuchungen, den vermeintlich einfachen Weg zu gehen, widersteht, wie sie versucht integer zu bleiben. Dabei offenbart sie Intelligenz, so dass die Rekrutierung durch den Professor nachvollziehbar ist, zumal sie Beziehungen zu Schichten hat, die Moriarty fremd sind.

Die Auflösung des Rätsels um die Morde und das Motiv hinter dem Serienkiller ist in sich interessant und durchaus nachvollziehbar konstruiert. Geschickt treibt der Verfasser seine Handlung voran, präsentiert in kurzen Abschweifungen die Sicht des Mörders, ja lässt sogar eine Begegnung Moriartys mit Holmes einfließen.

Das alles ist in einem unauffälligen Stil verfasst, ohne große Action-Szenen - was sich angesichts des Topics und der Vorlage auch verbieten würde - und mit einigen unvorhersehbaren Wendungen versehen; es wartet eine intelligente Suche nach dem Täter auf den Leser. Die Zeit der Lektüre verfliegt angenehm schnell, und Hoffmann kredenzt am Rande noch einen kleinen Einblick in die sozialen Missstände der Hauptstadt des Empires zum ausgehenden 19. Jahrhundert.

Kurz zusammengefasst: Die Lektüre hat schlicht Spaß gemacht!