Antonia Michaelis: Im Schatten des Märchenerzählers (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 01. Oktober 2022 19:02
Antonia Michaelis
Im Schatten des Märchenerzählers
Oetinger, 2022, Hardcover, 464 Seiten, 22,00 EUR
Rezension von Christel Scheja
Antonia Michaelis studierte zunächst Medizin in Greifswald, engagiert sich heute aber für Kinder in Madagaskar. Inzwischen hat sie hat zahlreiche Romane für Kinder, Jugendliche und Erwachsene veröffentlicht, zu denen auch „Im Schatten des Märchenerzählers“ gehört, der locker an „Der Märchenerzähler“ anschließt.
Abel Tannatek ist bereits achtzehn Jahre tot und sein Sohn Elias in dessen Schatten herangewachsen, denn seine Mutter Anna lebt immer noch in der magischen Welt, in die ihn der Märchenerzähler und Wolf eingeschlossen hat, schreibt ihm Briefe und erhält tatsächlich antworten.
Daher geht Elias der ganzen Sache genauer nach, denn er möchte wissen, ob etwas an der Vermutung ist, dass sein Vater noch lebt. Gleichzeitig aber gerät er in Schwierigkeiten, als er einem Mädchen und dem Kind hilft, das es in seiner Obhut hat. Und ein Fluch holt ihn aus der Vergangenheit ein, schlimmer als er jemals vermutet hätte.
Der Roman hat durch die stark ausgeprägte Märchen-Ebene etwas Mystisches und Magisches, denn die erzählte Geschichte scheint immer wieder die Ereignisse in der realen Welt zu spiegeln. Dazu kommt, dass Elias ein feinfühliger Träumer ist, der viel mehr hinter die Kulissen und das Sichtbare blickt als es seine Klassenkameraden tun. Außerdem hat er gelernt, in der zweiten Reihe zu bleiben und sich selbst herunter zu spielen.
Das sorgt auch dafür, dass er nicht gut damit zurechtkommt, dass ihn einige Leute mit seinem Vater vergleichen und klar machen, dass er ja nicht den gleichen Weg wie dieser einschlagen solle - immerhin habe er die gleichen Gene wie der „Mörder und Drogenabhängige“.
Dennoch kann er seine Augen nicht vor der Ungerechtigkeit verschließen, die er um sich herum sieht - die seltsamen Geschäfte, die Einige miteinander machen. Oder eben die Probleme, die die im Wald lebende Aussteigerin Zara mit ihrem Stiefvater hat.
Das Ganze ist in eine ausgeprägte Bildsprache gekleidet, die die Dinge nicht bei Namen nennt, sondern geschickt umschreibt. Daher richtet sich das Buch auch bewusst an Leserinnen und Leser ab sechzehn, die mit den ernsten Themen, die immer wieder anklingen, zurechtkommen, aber auch verstehen können, was die Autorin da gerade andeutet. Gelegentlich scheinen die Märchen- und reale Ebene sogar zu verschwimmen.
Am Ende fügen sich die Fäden zusammen und führen zu einem dramatischen Countdown. Allein die kryptische Auflösung lässt einen nicht ganz zufrieden zurück. Und man kann man das Buch auch genießen, wenn man den ersten Band nicht kennt.
Alles in allem ist „Im Schatten des Märchenerzählers“ ein eher anspruchsvoller Young-Adult-Roman, der düstere Mystik mit ernsten Themen verbindet und den Leser herausfordert, denn die Handlung wird nicht auf dem Silbertablett serviert, sondern muss sich ein wenig erarbeitet werden.