Michael Schmidt & Achim Hildebrand (Hrsg.): Zwielicht 17 (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Donnerstag, 30. Juni 2022 13:29
Michael Schmidt & Achim Hildebrand (Hrsg.)
Zwielicht 17
Titelbild: Björn Ian Craig
2022, Paperback, 284 Seiten, 11,99 EUR
Rezension von Carsten Kuhr
Die Herausgeber Achim Hildebrand und Michael Schmidt haben wieder gerufen und Autoren wie Übersetzer klassischer Geschichten haben ihnen ihre Werke anvertraut. So erwartet den Freund der Horror-Kurzgeschichte eine weitere Ausgabe des Weird-Fiction-Magazins in Buchform. Inhaltlich bleibt man sich selbst treu - sprich, es gibt keinen roten Faden, was die Thematik anbelangt; veröffentlicht wird, was gut geschrieben, inhaltlich packend und gruselnd ist.
So haben die Herausgeber wieder einen bunten Strauß an Preziosen gesucht und gefunden, entführen uns in alltägliche Abgründe, berichten von uralten Mythen, Heimsuchungen und Opfer.
Nicht weniger als 15 erzählende Texte sowie zwei Artikel und der Bericht über den Vincent Preis 2020/2021 umfasst die Ausgabe 17.
Um was geht es im Einzelnen?
Christian Blums „Arsénique“ entführt uns in die Welt der Musiker. Wer als Vorgruppe zu einer der angesagten Bands ausgewählt wird, der erhält nicht nur die Chance seine Musik einem breiteren Publikum vorzustellen, auch die Scouts der Labels sind im Publikum. Dann aber lernt der Frontmann die mysteriöse Sängerin des gefeierten Haupt-Acts näher kennen - mit gar weitreichenden, einschneidenden Folgen.
Der Verfasser entführt uns Backstage, greift dort die Stimmung gut auf und bietet dann eine zwar ein klein wenig vorhersehbare, aber überzeugende Handlung.
In Erik Hausers „Die natürliche Widrigkeit der Dinge“ geht es um Gefahren - tödlichen Bedrohungen, die von alltäglichen Dingen ausgehen. Nein, ich meine jetzt beileibe nicht Autos oder Fahrräder, mehr solche Dinge, wie die Waschmaschine oder den Kühlschrank. Eine überraschend, in sich aber zwingende Idee, gut umgesetzt.
Der erste Klassiker aus der Feder Algernon Blackwoods, „Traumpfade“ (1911), entführt uns nach Frankreich. Wir begleiten zwei Wanderer, von denen einer die Herkunft seiner Familie näher ergründen möchte - und dabei in direkten Kontakt mit der Vergangenheit gerät.
Klassische Phantastik mit Geistererscheinungen, viel Stimmung und einem leider etwas kurz geratenem Plot.
Anita Cyprowskis „Der Mann ihrer Träume“ stellt uns zwei Frauen vor. Die eine ist ein paar Jahre ausgestiegen, hat in New Orleans, der Stadt des Voodoo, gelebt, die andere hat gerade eine sehr schmerzhafte Trennung von ihrem Verlobten hinter sich. Dass sie Alpträume heimsuchen, ist kein Wunder. Dass man dagegen etwas tun kann, hat ihre Freundin in New Orleans gelernt - und setzt ihr Wissen nun um.
Interessanter Ansatz, der dann aber leider ein klein wenig vorhersehbar abläuft.
Mit Eleanor Scotts „Der Volkstanz“ (1929) erwartet uns im zweiten Klassiker eine Geschichte, die atmosphärisch sehr dicht auf klassischen Pfaden daherkommt. Ein Student nimmt sich eine Auszeit, besucht das englische Hinterland und erforscht die folkloristischen Überlieferungen. Dabei begegnet ihm ein uralter Tanzritus mit dem etwas Dunkles, etwas Hungriges besänftigt werden soll.
Klasse Entdeckung von Matthias Käther, eine Story, die den Leser behutsam in ihren Bann zieht, dann auf klassischen Pfaden läuft aber dennoch eine überraschende Entwicklung nimmt.
In Nele Sickels „Alina“ nimmt eine junge Frau für erlittenes Unrecht Rache. Es sollte eigentlich nur ein - schlechter - Scherz sein, den der Bruder seiner kleinen Schwester spielte. Doch dann kam alles anders. Jetzt dreht das Opfer den Spieß um.
Eine Kurzgeschichte, die einen überraschenden Twist für den Leser bereithält.
Mit Emil Petajas „Die Aussichtsplattform“ (1951) erwartet uns der dritte Klassiker. Eine Geschichte, die mich ob der atmosphärischen Dichte in ihren Bann zog. Uns begegnet ein junger Mann, ein Taugenichts, der auf die Erbschaft seiner reichen Tante spekuliert. Dass diese ihr Vermögen durch ihren skandalösen Lebenswandel - man munkelt von dem ältesten Gewerbe der Welt - gemacht hat, stört ihn wenig. Als sie im Sterben liegt, eilt der Neffe herbei - und wird in ihr Geheimnis eingeweiht - ein Geheimnis, das mit anderen Dimensionen, Dämonen und der persönlichen Verbindung zu diesen zu tun hat.
Für mich eines der Highlights des Bandes.
Tobias Lagemanns „Unter diesem Hügel“ erweist den modernen Schatzjägern seine Referenz. Diese bevölkern unsere Wälder, sind mit ihren Metalldetektoren und Wünschelruten auf der Suche nach Schätzen. Manche aber suchen nicht etwa antikes Gold, sondern Überbleibsel aus dem letzten, großen Krieg. In der Nordeifel schütteten die Alliierten Bunker samt Besatzung mit Erde zu, so sich diese nicht ergeben wollten. Die Wehrmachtsoldaten erstickten und verhungerten Elend. Einen solchen Bunker zu finden, ist wie ein Sechser im Lotto, bezahlen Sammler doch viel gutes Geld für Erinnerungsstücke. Doch was, wenn die verstorbene Bunkerbesatzung mit der Störung ihrer Ruhe nicht einverstanden ist? Sehr interessante Idee, die wunderbar stimmig umgesetzt wurde - ein weiteres Highlight des Bandes.
Karin Reddemann erzählt uns in „Fichtennadel“ von einem armen Menschen. Einsam ist er, und allein mit seiner Lust. Zumal just die Dame seines Herzens aus Latex den Geist aufgegeben hat. Bis die natürlich sofort georderte neue Begleiterin seines Herzens eintrifft, muss er die Zeit überbrücken…
Eigentlich ein interessanter Ansatz, der mich aber irgendwie nicht ganz packen konnte.
Arthur Machens „Folter“ (1924) ist eine recht kurze Fingerübung des großen Meisters, die uns ohne große Schock-Effekte mittels Andeutungen den Beginn einer titelgebenden Handlung durch und mit zwei beteiligten Kindern zeigt.
In Mary Ann Darks „Das Geschenk“ geht es um einen Fotoapparat, der immer wieder auftaucht, wie sehr der Besitzer auch versucht, das Teil zu entsorgen. Nun wäre dies nicht wirklich schlimm, wenn die Fotos nicht Menschen aus dem Bekanntenkreis zeigen würden, die in Kürze zu Tode kommen. Die einzige Möglichkeit, das Teil loszuwerden, wäre es zu verschenken - wem aber will man solch ein Marter-Instrument zumuten?
Interessante Idee, gut umgesetzt mit einem Zwist am Ende der überrascht.
In Torsten Scheibs „Ein besonderes Näschen“ geht es um die Spürnasen Mitte des 18 Jahrhunderts, die im Auftrag Friedrich des Großen als Kaffeeschnüffler den illegalen Kaffeeproduktionen auf der Spur sind. Einer der Versehrten, die für diese Aufgabe eingesetzt werden, erzählt seine Geschichte - eine Geschichte, die einen Schutzengel der besonderen Art beinhaltet.
Wie immer bei Scheib, ein solider Text mit einer interessanten Handlung, die fast unmerklich das Übernatürliche inkludiert - hat Spaß gemacht.
In „Maurice Levels „Babel“ (1910) - der nächste Klassiker - beobachtet die Crew eines Segelschiffes auf ihren Fahrten immer wieder auf einer einsamen Insel einen Turm, der, jedes Mal wenn sie vorbeikommen, gewachsen ist. Als unser Erzähler genauer nachschauen will, werden Erinnerungen an einen anderen, legendären Turm wach.
Eigentlich ein nicht uninteressantes Thema, auch durchaus ansprechend umgesetzt - und doch konnte mich die Erzählung nicht wirklich in ihren Bann ziehen.
Jo Piccols „Trial & Error“ ist die Geschichte eines Erfolgsmenschen - oder vielleicht doch nicht? -, der erkennen muss, dass er mit seinem Erfolg so alleine nicht wirklich ist.
Ein Beitrag, der mich nicht wirklich packen konnte - zu unterschiedlich die Handlungsstränge, zu ungenau das Thema (vielleicht lag es an mir?).
Achim Stößers „Qq1apYxm“ stellt uns in ferner Zukunft eine sich selbst ständig reinkarnierende Soldatin vor, die auf einem fremden Planeten die Ureinwohner bekämpft - und dabei in eine perfide Falle der ungebildeten Wilden tappt.
Wunderbar überraschender Schluss, eine durchdachte Handlung, klasse geschrieben.
Zwei Artikel schließen dann den Band ab. Zunächst berichtet uns Achim Hildebrand in „Legenden des Kannibalismus - Die Donner-Party“ von einer Familie, die 1846 nach Kalifornien aufbricht, dabei falschen Versprechen folgt und in der Wildnis strandet. Der Versuch, im strengen Winter einen Ausweg zu finden endet damit, dass die Verstorbenen als Nahrung genutzt werden.
Karin Reddemann beschäftigt sich in „Die tragische Legende, der „Son of Sam“ und Böses vom König“ mit einem Serienkiller, mit Richard Mathesons „I am legend“ und Stephen Kings „Zwischen Nacht und Dunkel“.
Alles in allem ein sehr abwechslungsreicher Band, der dem Leser wieder jeder Menge Stoff anbietet, der aufrüttelt, der gruselt und der unterhält - wie gewohnt alles stilistisch ansprechend ohne Durchhänger.