Visionarium 4: Rätsel und Wunder (Buch)

Visionarium 4
Rätsel und Wunder
Herausgeber: Dr. Nachstrom
Titelbild: Jörg Vogeltanz
Innenillustrationen: Timo Grubing, Daniela Barbist, Michael Wittmann
Edition Gwydion, 2015, Taschenbuch, 172 Seiten, 7,98 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Elmar Huber

„Er träumte von Tamy Lynn. Sie lag mit auseinandergezogenen Gliedmaßen unter ihm auf der Lichtung, das Lederhalsband eng um ihren Hals, die Leine um seine linke Faust gewickelt. Sie war nackt. Aber ihre Hauptmerkmale waren formlose, milchige Abstraktionen. Er hielt sein Messer an ihre Wange. Ihre Augen waren Zwillingsbettler, Teiche aus Schreien, nasser Schrecken. Er wachte schwitzend auf, sein Magen flau, seine Augen feucht. Er hatte wieder das Bett nass gemacht.“ (Scott Nicholson: „Hounds of Love“)

Scott Nicholson: „Hounds of Love”
Alles, was Dexter neben seiner unberechenbaren Mutter und den guten Ratschlägen seines Vaters - „Sag ihnen, dass du sie liebst.“ - noch hat, sind die Tiere, deren Teile er, nachdem er mit ihnen fertig ist, zwischen den Wurzeln einer großen Eiche vergräbt. Eines Tages beobachtet Dexter, wie auf seinem kleinen Friedhof - im wahrsten Wortsinn - ‚unschuldiges‘ Blut vergossen wird. In der darauffolgenden Nacht schleicht sich etwas von der Eiche bis zu Dexters Haus.

Sönke Hansen: „Marta“
Nach einer kurzen Besorgung im Supermarkt erwartet Martin ein Unbekannter in seinem Auto, der ihn zuerst zwingt, zu einem abgelegenen Haus zu fahren und ihn anschließend betäubt. Als er wieder zu sich kommt, ist er an einen OP-Tisch gefesselt. In Gegenwart eines Verrückten, der keinen Zweifel an seinen Absichten aufkommen lässt. Zwei Monate zuvor soll Martin dessen Tochter überfahren haben. Doch Martin ist sich sicher, dass es nur ein Hund war, den er damals angefahren hat.

Mike Jansen: „Auftrag in Amlwch“
Um ihn aus der Schusslinie eines brisanten Falls herauszuhalten, wird D. I. James of Wheatfen nach Amlwch ins nördliche Wales geschickt, um dort einen rätselhaften Vermisstenfall zu klären. Drei Jahre zuvor ist Colonel John Persifal Stanley, kurze Zeit nach dem Tod seiner Frau, spurlos aus seinem Herrenhaus verschwunden.

„Er öffnete seinen Ordner und las noch einmal die Anmerkungen zu Mr. Henry James Smith. Wahnsinn schien in Amlwch umzugehen. Er schrieb den Namen der Stadt auf eine separate Seite seines Notizbuchs, darunter „Wahnsinn“ und fügte die Namen von Henry James Smith und Colonel John Persifal Stanley hinzu, mit einer Anzahl von Fragezeichen. Konnte es sein, dass noch andere betroffen waren?“ (Mike Jansen: „Auftrag in Amlwch“)


Ausgabe 4 der „Gazette für phantastische Abwege“ hält das hohe Niveau der Vorgänger, und den Verantwortlichen ist die schöne Regelmäßigkeit, mit der das Magazin erscheint, hoch anzurechnen. Damit ist „Visionarium“ als feste Größe der deutschsprachigen Phantastik etabliert und kann heuer sogar auf gleich zwei Ableger blicken, nämlich „Visionarium präsentiert“ und „Visionarium Sonderheft“. Doch zurück zu Ausgabe 4.

Mit Scott Nicholson hat Doc Nachtstrom hier wieder einen englischsprachigen Autor an Bord, der im Heimatland als Selfpublisher auftritt und, was eine Besonderheit darstellt, auch die Übersetzungen und den Vertrieb seiner deutschen Veröffentlichungen ohne Verlagseinmischung selbst realisiert. Sein „Hounds of Love“ ist zwar ‚nur‘ eine Variante von Stephen Kings „Friedhof der Kuscheltiere“, doch eigenständig genug, um voll zu überzeugen.

Sönke Hansen baut in „Maria“ ein Folter-Szenario auf, dessen Hintergründe sich erst nach und nach aufblättern und das damit einige Überraschungsmomente für den Leser bereithält.

„Auftrag in Amlwch“ des niederländischen Autors Mike Jansen ist ein sehr schön geschriebener Gothic-Mystery-Krimi, der am Ende allerdings die Bodenhaftung verliert und damit nicht richtig rund wird.

Wie gewohnt steuern unterschiedliche Künstler exklusiv je eine Grafik zu den Geschichten bei.

Den Sekundärteil bilden ein Interview mit dem Sachbuchautor Roland M. Horn (u. a. „UFO-Sekten“), der über gänzlich neue Theorien zum Thema UFO-Sichtungen berichtet; ein Artikel über Alternativwelt-Geschichten, insbesondere mit dem Erbmaterial des Dritten Reiches, die in Deutschland einen immer noch fragwürdigen Beigeschmack haben, und ein Interview mit dem englischen (Comic-) Kultautor „Mike Carey“ („Hellblazer“, „Luzifer“, „The Unwritten“, die „Felix Castor“-Reihe), der über seine Werke, seine Art zu schreiben, köchelnden Popkultureintopf und den regen Austausch mit anderen Autoren plaudert.

Komplettiert wird „Rätsel und Wunder“ wieder von den Kurzbiografien der beteiligten Personen inklusive Buchtipps sowie einem Eigenwerbeteil der Edition Gwydion.

Über das großartige Layout von Jörg Vogeltanz sowie die hervorragende Innengestaltung und den sauberen Satz braucht man schon fast nichts mehr zu schreiben. Mustergültig im Bereich der Self-Publisher-Veröffentlichungen.

„Rätsel und Wunder“ setzt die Erfolgsserie fort. Auch in Band 4 sind keine Müdigkeitserscheinungen bei „Visionarium“ zu erkennen, was die Wartezeit auf Band 5 nicht gerade verkürzt.