T. J. Klune: Das unglaubliche Leben des Wallace Price (Buch)

T. J. Klune
Das unglaubliche Leben des Wallace Price
(Under the Whispering Door, 2021)
Übersetzung: Michael Pfingstl
Heyne, 2022, Paperback, 480 Seiten, 16,00 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Wallace Price ist ein - sorry to say - Arschloch. Nach dem Studium hat er mit drei Ex-Kommilitonen eine Anwaltskanzlei gegründet und ist in seinem Job sehr erfolgreich. Seine Quote an gewonnenen Gerichtsverfahren ist exorbitant hoch, sein Vermögen entsprechend angewachsen. Zu verdanken hat er Beides seinem fast schon besessenem Fleiß und seiner Art und Weise mit Zeugen, dem gegnerischen Rechtsbeistand und dem Richter umzugehen. Wallace hat schlicht keinerlei Empathie, geht wortwörtlich über Leichen um seine selbst gesteckten Ziele zu erreichen.

Als er eines Sonntags in Flipflops und T-Shirt im Büro einem Herzinfarkt erliegt sind seine Mitarbeiter samt und sonders - erleichtert.

Zur Beerdigung kommen seine Ex-Frau - die kein gutes Wort am Sarg für ihn bereithält -, seine Kompagnons - die sich über ihn lustig machen - und der Pfarrer. Freunde, Untergebene, ja auch nur Bekannte die von dem Verblichenen Abschied nehmen wollen, gibt es nicht. Wallace ist not amused.

Moment, ist Wallace nicht tot? Ja - doch er findet sich ausgerechnet in der Kluft, in der er das Zeitliche gesegnet hat, urplötzlich bei seinem eigenen Trauergottesdienst in der Kirche wieder. Eine junge Frau mit asiatischen Wurzeln kümmert sich um den Geist. Sie begleitet ihn zu einer Teestube - nach dem Fährmann Charon, der der Sage nach die Seelen über den Styx schippert betitelt, einem ganz besonderen Haus. Hier, im vierten Stock, wartet eine Tür auf die Toten, eine Pforte, die sie ins Dasein nach dem Leben führt.

Doch vorher muss Wallace noch einige höchst ungewohnte Erfahrungen sammeln. Er lernt den Hüter des Hauses, Hugo, nebst Nelson dem Hund, dessen toten Großvater und seine Führerin kennen - und muss lernen, was er in seinem Leben bis dahin versäumt hat. Wirklich zu leben, zu erkennen, was im Dasein wichtig ist, seine Menschlichkeit zu suchen und unter all dem Abfall den er darauf angehäuft hat, auszubuddeln und vielleicht gar etwas zu finden, was ihm nie vergönnt war - die Liebe…


T. J. Klune schreibt andere, ich möchte fast sagen besondere Bücher. Dies war bereits bei „Mr. Parnassus’ Heim für magisch Begabte“ (dt. Heyne) der Fall und dies gilt noch in weit höherem Maße für den vorliegenden Roman.

Das Buch ist ein leises, ein stilles, aber ein ergreifendes Werk.

In der werkgetreuen und einfühlsamen Übersetzung von Michael Pfingstl erwartet die Leser ein Roman, der keine der sonst so angesagten Ingredienzien für sie bereithält. Keine Action, keine Gewalt, keine Dramatik - und doch klebt man beim Lesen förmlich an den Seiten fest.

Klune packt uns mit einem Schicksal, mit einem Charakter, wie er heute mehr denn je angesagt ist. Ein Selfmade-Man, erfolgreich im Beruf, reich geworden aufgrund seiner Ellenbogen, seines mitleidlosen Agierens zulasten seiner ausgebeuteten und verachteten Mitarbeiter ist er eigentlich ein armer Mensch. Das was wirklich wichtig ist im Leben, Zufriedenheit, Glück und Geborgenheit kennt er schlicht nicht, ahnt selbst nicht, wie sehr ihm dies fehlt. Erst nach dem Tod erhält er eine zweite Chance, sich selbst kennenzulernen, seine Einstellungen und sein Verhalten zu hinterfragen und sich zu einer Persönlichkeit zu entwickeln.

Dabei kommt es immer wieder zu unfreiwillig komischen Situationen, lacht man als Leser, dann wieder ist man starr ob der Verbohrtheit des Protagonisten. Langsam, zögerlich und vorsichtig beginnt Wallace sich zu öffnen, beginnt zu erkennen, was er bislang wissentlich ausgeblendet und übersehen hat - die Kunst zufrieden zu sein, in sich selbst zu ruhen und schlicht etwas zu finden, das man mit Geld nicht wirklich kaufen kann - nämlich Glück zu empfinden.

Wie gesagt, ein leises Buch, ein Buch, das einen innerlich berührt, das einem bei der Lektüre etwas mehr gibt als nur vom Alltag abzulenken - ein Buch, für das man sich Zeit nehmen sollte um es zu genießen.