Shari Lapena: The Couple Next Door (Hörbuch)
- Details
- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Mittwoch, 02. März 2022 14:46

Shari Lapena
The Couple Next Door
(The Couple Next Door, 2016)
Übersetzung: Rainer Schumacher
Sprecher: Frederike Kempter
Lübbe Audio, 2017, 6 CDs, ca. 403 Minuten, ca. 18,00 EUR
Rezension von Elmar Huber
„Anne fühlt den Schrei in ihrem Kopf und wie er von den Wänden wiederhallt. Ihr Schrei ist überall. Dann verstummt sie und steht wie erstarrt vor dem leeren Bettchen. Marco fummelt am Lichtschalter herum. Dann starren sie beide in das leere Gitterbett, in dem eigentlich ihre Tochter liegen sollte. Das ist unmöglich. Cora kann noch nicht herausklettern. Sie ist erst knapp sechs Monate alt.“
Anna und Marco Conti befinden sich auf einer Geburtstagsfeiner im kleinsten Kreis im Haus ihrer Nachbarn, während die sechs Monate alte Cora nebenan in ihrem Haus schläft. Trotz des Babyfons und der abwechselnden halbstündigen Kontrollbesuche stellen sie bei ihrer nächtlichen Heimkehr fest, dass die Haustür offen steht und das Baby verschwunden ist. Bald trifft eine Lösegeldforderung ein.
Basierend auf einigen Indizien und Zeugenaussagen hat der ermittelnde Detective Rasbach schon bald den Vater des Kindes in Verdacht, die Entführung fingiert zu haben. Mit dem Lösegeld, das seine wohlhabenden Schwiegereltern zur Verfügung stellen, könnte er seine marode Softwarefirma sanieren. Doch die Polizei weiß nicht, dass es eine Videoaufzeichnung der Tat gibt, die nicht in falsche Hände gelangen darf.
„Detective Rasbach beobachtet das Paar genau. Ein Baby wird vermisst. Einer oder mehrere Unbekannte haben es aus seinem Bettchen genommen. Und zwar irgendwann zwischen ungefähr halb eins und 1:27 Uhr, wenn man den Eltern glauben darf, die zu dieser Zeit nebenan gefeiert haben. Bei ihrer Rückkehr stand die Haustür ein Stück offen, und der Vater hat vielleicht die Hintertür nicht abgeschlossen. Als die Polizei eintraf, war sie jedoch verschlossen. Die Angst und Not der Mutter ist nicht zu übersehen, und auch der Vater wirkt erschüttert. Trotzdem fühlt die ganze Situation sich irgendwie falsch an.“
Klappern gehört natürlich zum Handwerk, wenn man ein Buch verkaufen will. Also wird „The Couple Next Door“ - klingt ja auch schön vage schlüpfrig - vom Verlag gleich als das Thriller-Debüt 2017 angepriesen. Auch der anfängliche Auftritt der sexy, ja, fast schon promiskuitiven Nachbarin Cynthia lässt kaum Spielraum für Interpretationen und außerdem auf einen gepfefferten Thriller hoffen, in dem die hier noch unter den Nachwehen der Schwangerschaft leidende Anna später zu Hochform gegen ihre Konkurrentin auflaufen muss.
Doch schon kurz nach dieser gut dosierten Exposition drängt sich massiv der Eindruck auf, dass man bei der Konzeption des Thrillers, statt diesen Weg weiter zu beschreiten, ein bisschen zu sehr danach geschielt hat, lieber das nächste „The Girl on the Train“ abzuliefern. Die wechselnden Erzählperspektiven, die das Geschehen abwechselnd aus Annas, Marcos und Detective Rasbachs Sicht schildern, verstärken diesen Eindruck noch. An sich wäre das gar nicht weiter schlimm, und Shari Lapena hat sich auch einige unvorhersehbare Wendungen ausgedacht, die alle im Rahmen der Story gut funktionieren und das Ding grundsätzlich ordentlich am Laufen halten. So haben Cynthia und Graham beispielsweise eine versteckte Kamera auf ihrer Terrasse installiert, die die Dame des Hauses bei ihren offensiven Verführungsversuchen filmt, sodass ihr Ehemann was zum Aufgeilen hat. Und prompt hatte die Kamera auch die Terrasse der Contis zur Tatzeit im Fokus, wie auch den Entführer der kleinen Cora. Doch ist das natürlich kein Beweismittel, mit dem man nun unbedingt sofort zur Polizei rennt. Auch gräbt Detective Rasbach Annas Vergangenheit um und stößt auf unkontrolliertes aggressives Verhalten während ihrer Schulzeit, sodass sie selbst zeitweise ins Zentrum seiner Ermittlungen rückt.
Und so deckt die Autorin nach und nach immer neue Fakten auf, die gleich mehrere Plot-Twists bedeuten. Einiges davon funktioniert sehr gut, um die Spannung anzuheizen, anderes wirkt einfach zu manipulativ, sodass man sich als Leser zeitweise reichlich plump an der Nase herumgeführt fühlt.
Am stärksten wiegt jedoch, dass von den farb- und konturlosen Figuren absolut kein Funke auf den Leser überspringen will. Überhaupt ist lediglich Anna als Sympathieträgerin einigermaßen denkbar, doch verströmt diese eine derart bewundernswerte Naivität und bleibt dauerhaft in ihrer Opferrolle gefangen, als dass sie den Leser für sich vereinnahmen könnte.
Das Hörbuch: Die Interpretin Friederike Kempter ist vor allem bekannt und geschätzt als (inzwischen) Kommissarin Nadeshda Krusenstern aus dem Münster-„Tatort“, für dieses Hörbuch jedoch nicht die Top-Besetzung. Ihre mädchenhaft helle Stimme und die teils sehr harsche Sprechweise wirken, als müsste sie sich damit Gehör und Respekt verschaffen. Damit wirkt die ohnehin schon (unfreiwillig?) naiv gezeichnete Anna Conti, mit der man die Stimme identifiziert, wie die Unsicherheit in Person und nicht gerade auf gemeinschaftlicher Augenhöhe mit den anderen Figuren.
Fairerweise muss man sagen, dass der „lakonische, bewusst schlichte Staccato-Stil“ des Romans, den der „Kölner Stadt-Anzeiger“ lobte, auf Papier vielleicht ganz gut funktioniert. In der vorliegenden Lesung ist er der Spannung leider alles andere als zuträglich.
„The Couple Next Door“ ist reichlich konstruiert und wird mit der groben Kelle serviert. Erschwerend kommt hinzu, dass sich für keine der reizlosen Personen so etwas wie Sympathie einstellen will. Entsprechend nimmt man das Geschehen ohne gesteigerte Anteilnahme wahr.