Ich seh Ich seh (DVD)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 26. Februar 2022 11:13

Ich seh Ich seh
Österreich 2014, Regie: Severin Fiala und Veronika Franz, mit Susanne Wuest, Elias Schwarz, Lukas Schwarz u.a.
Rezension von Elmar Huber
Nach einem Krankenhausaufenthalt inklusive Gesichtsoperation kehrt eine österreichische Fernsehmoderatorin (Susanne Wuest) mit einbandagiertem Gesicht zurück in ihr abgelegenes Haus, wo sie von ihren Kindern, den Zwillingsbrüdern Lukas und Elias (Lukas und Elias Schwarz), bereits erwartet wird.
Doch die Mutter benötigt Ruhe für ihre Genesung und kann und will kaum Zeit mit ihren Kindern verbringen, die so, weiterhin sich selbst überlassen, ihre Sommerferien verbringen. Nach und nach setzt sich in den Jungen sogar der Verdacht fest, dass es sich bei der Heimgekehrten, die solch untypische Verhaltensweisen und Distanziertheit an den Tag legt, gar nicht um ihre Mutter handelt. Infolgedessen schmieden beide einen Plan, der enthüllen soll, ob es sich tatsächlich um ihre Mutter handelt, die sich unter den Bandagen befindet.
Fast wie ein Märchen mutet der österreichische Oscar-Beitrag „Ich seh Ich seh“ an. Ein einsames Haus am Waldrand und zwei Kinder, Zwillinge, die dort allein leben. Solange jedenfalls bis ihre Mutter nach einem nicht weiter erwähnten Vorfall aus dem Krankenhaus wieder nach Hause kommt. Allerdings nun seltsam distanziert und zeitweise aggressiv, gar nicht so, wie man es von einer treusorgenden Mutter erwartet. Verstörend für den Zuschauer ist daran auch, dass es keinerlei Bezug gibt, keine ‚Basislinie‘, mit der er dieses Verhalten der Mutter vergleichen kann. War sie vor ihrer OP anders? Weder lernt man die Frau vor ihrem Krankenhausaufenthalt kennen, noch wird die Situation erklärt, in der diese (halbe) Familie sich befindet. Nur einmal wird ein kurz zurückliegender Umzug aus Wien erwähnt. Auch über den Vater der Jungen wird kein Wort verloren; andere Menschen tauchen nur am Rande auf, sodass man gar nicht objektiv beurteilen kann, inwieweit diese seltsam surreale Situation, deren Zeuge man wird, tatsächlich eine Bedrohung beinhaltet. Selbst die Jungen scheinen keine verlässlichen Bezugspunkte zu sein, wirken sie doch meist losgelöst aus der Wirklichkeit, streunen allein und unbeachtet durch die sommerliche Umgebung des Hauses. So ist „Ich seh Ich seh“ in den meisten Passagen von einer märchenhaften, unterschwellig bedrohlichen Realitätsfremde durchzogen.
Das Sujet des Films ist damit so genial wie einfach und rührt auch noch gleich an nicht nur kindlichen Urängsten, die eben auch in klassischen Märchen Verwendung finden. Klinisch kühl beschreiben Severin Fiala und Veronika Franz, was passieren kann, wenn man einer Vertrauensperson plötzlich nicht mehr vertrauen kann. Wenn diese sogar zu einer vermeintlichen Gefahr wird. Dass der Film schließlich noch mit einem grundlegenden Twist aufwartet, ahnt man schon irgendwie, sieht das aber so nicht kommen.
In einem Interview mit dem „tip Berlin“ verraten Severin Fiala und Veronika Franz, dass die Idee für den Film von den Schönheits-OP-Doku-Soaps stammt. „Da werden Frauen von ihren Familien für zwei Monate getrennt und treffen sie dann wieder auf einem roten Teppich. Das ist als magischer Fernsehmoment gemeint, wenn sie wiedervereinigt werden. Und da stehen halt die Kinder mit dem Papa und warten, dass die Mama zurückkommt, und der Moment ist ganz strahlend, die Musik ganz großartig. Aber in Wirklichkeit, wenn man genau hinschaut, sieht man bei den Kindern immer eine totale Irritation. Weil die Mutter so verändert aussieht. Wir haben sogar mal eine Folge gesehen, wo ein Kind den Papa am Ärmel zupft und sagt: Das ist nicht die Mama.“
In ihrem Film spinnen sie diese Idee soweit fort, dass die Jungen sogar Maßnahmen ergreifen müssen, um zu erfahren, was mit ihrer tatsächlichen Mutter geschehen ist.
Erzählerisch ist „Ich seh Ich seh“ ohne jedwede oberflächlichen Thriller-Kniffe umgesetzt und wirkt nahezu klinisch gefühllos, was durch die nüchterne Ausstattung noch unterstrichen wird. So entwickelt das bizarre Geschehen eine noch sehr viel verstörender Wirkung und empfiehlt sich damit als legitimer Nachfolger von Michael Hanekes „Funny Games“.
„Ich seh Ich seh“ ist ein bravourös surreales Mystery-Thriller-Drama, das mit der ständigen Unsicherheit spielt, was tatsächlich vor sich geht und einige unerwartete Entwicklungen bereithält.