Francis Iles: Verdacht (Hörspiel)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 26. Februar 2022 11:07

Francis Iles
Verdacht
(Before the Fact, 1932)
Bearbeitung und Regie: Regine Ahrem
Musik: Michael Rodach, Alan Bern und Paul Brody
Sprecher: Gerd Wameling, Chris Pichler, Boris Aljinovic u.a.
Hörbuch Hamburg, 2014, 1 CD, ca. 57 Minuten, ca. 11,95 EUR
Rezension von Elmar Huber
Hampshire, 1934: Während einer Picknickgesellschaft in Hampshire lernt die junge Lina Coverstone (laut Klappentext: Lina McLaidlaw, doch hat sie im Hörspiel den Namen Lina Coverstone) den charmanten Johnny Aysgarth kennen, der bei der jungen Dame gleich in die Vollen geht. Obwohl Aysgard allgemein als undurchsichtiger Tunichtgut verschrien ist, erobert er ihr Herz, und schon bald klingeln die Hochzeitsglocken. Direkt nach der Hochzeit erfährt Lina, dass Johnny das Geld, das er mit beiden Händen ausgibt, gar nicht hat. Ganz selbstverständlich eröffnet er, dass sein vermeintliches Vermögen zusammengeschnorrt ist und Linas Vater ja auch finanziell aushelfen könne, wenn es mal hart auf hart kommen sollte.
Widerwillig nimmt Johnny eine Arbeit an, die er ohne das Wissen seiner Frau wieder verliert. Von einem ehemaligen Kommilitonen Johnnys erfährt Lina, dass ihr Mann beim Rennen regelmäßig erhebliche Summen verspielt. Auch Johnnys Geschäfte, von denen Lina mehr oder weniger nur noch zufällig erfährt, werden immer windiger, und plötzlich taucht auch noch ein Toter in Johnnys Umfeld auf. Lina misstraut ihrem Mann immer mehr, und als ihr Vater stirbt und sie sein ganzes Vermögen erbt, sieht sie sich plötzlich selbst in Lebensgefahr. Plötzlich beschäftigt Johnny sich mit Kriminalromanen, die den perfekten Mord zum Thema haben. Hat er etwa Linas Vater und seinen Geschäftspartner umgebracht, als dieser unbequem wurde, und bereitet er jetzt den Mord an seiner Ehefrau vor?
Der Titel ist Programm bei diesem Klassiker von Francis Iles. „Verdacht“ ist ein phantastisch dichter und konzentrierter Thriller, der zwar auf kleiner Flamme kocht, doch beständig immer weiter Druck aufbaut. Dabei braucht es gar keine groß angelegte Verschwörungs- oder Spionagegeschichte; alles dreht sich fast ausschließlich um die Eheleute Aysgarth.
Wird Johnny zu Anfang ‚nur‘ als windiger und arbeitsscheuer, aber charmanter, gutaussehender und harmloser Filou charakterisiert, so wandelt sich das Bild bald. Ganz selbstverständlich eröffnet er seiner Frau, dass er total blank ist, was ihn nicht daran hindert, den großen Macher zu spielen. Immerhin kann er seine Mitmenschen gut um den Finger wickeln, bis es ans Bezahlen geht. Sobald sich Johnny in die Ecke gedrängt sieht, schimmern seine gefährlichen Neigungen durch. Auch gegenüber seiner Ehefrau. So schürt Iles, ohne je konkret zu werden, den Verdacht, dass Johnny möglicherweise ein kaltblütiger Mörder ist und sich auch seiner Frau entledigen könnte, wenn er keinen anderen Ausweg sieht. Die Spannung spitzt sich schrittweise, ganz subtil aber unbarmherzig und eiskalt zu.
Die Schwierigkeit, ein passendes Ende zu finden, ohne dass die Spannung verpufft, hat Francis Iles ebenfalls mit einem unkonventionellen Trick brillant gemeistert. Damit liefert er gleichzeitig noch eine Erklärung, warum sich Lina überhaupt auf den Windhund Aysgarth einlässt. In der Verfilmung von Alfred Hitchcock aus dem Jahre 1941 - mit Cary Grant und Joan Fontaine in den Hauptrollen - wurde ein anderes, sehr unpassendes Ende verwendet, das den kompletten Film wirkungslos in sich zusammenfallen lässt. Damals durfte wohl nicht an Cary Grants sauberem Image gerührt werden.
Ohne die Leistung aller Sprecherinnen und Sprecher schmälern zu wollen, muss man attestieren, dass „Tatort“-Kommissar Boris Aljinovic als Johnny Aysgarth eindeutig der Star des Hörspiels ist. Er ‚spielt‘ seine Figur so hörbar süßlich, berechnend und unterschwellig gefährlich, dass es eine wahre (Ohren-) Schau ist.
Bemerkenswert ist auch die Inszenierung selbst, die in sogenannter „Kunstkopfstereofonie“ realisiert ist. Der Hörspiel-Trailer, der auf dem Hörbuch-Hamburg-YouTube-Kanal zu sehen ist, erklärt, was das heißt und erlaubt einige Einblicke in die Produktion der Aufnahmen. Um den ausgelobten 3D-Raumeffekt zu erhalten, werden an einem künstlichen Kopf an Stelle der Ohren Mikrofone angebracht. Die Schauspieler spielen ihre Rollen tatsächlich, wie auf einer Bühne, um diesen Kopf herum, sodass auch die echten (Neben-) Geräusche mit aufgenommen und eingebunden werden: das Klappern der Schuhe beim Treppensteigen, das Kratzen eines Füllers auf Papier, das Gläserklirren und die mehr und weniger entfernten Gespräche auf einer Party etc. So kann man stets nachvollziehen, wo sich die Personen befinden und erlebt sogar direkt die Dynamik zwischen den Figuren. Mit Kopfhörer genossen, ist man so als Hörer wirklich ‚mittendrin‘.
„Verdacht“ ist ein elegant und dicht komponierter Understatement-Thriller, der in dieser Form von einer phantastischen Stimm-Besetzung und der außergewöhnlichen und aufwändigen technischen Umsetzung lebt.