Nova - Magazin für spekulative Literatur 31 (Magazin)

Nova - Magazin für spekulative Literatur 31
Titelbild: Detlef Klewer
p.machinery, 2022, Paperback, 326 Seiten, 17,90 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Die neueste Ausgabe von „NOVA“ ist da. Nicht nur ein neuer Untertitel - Magazin für spekulative Literatur -, wartet auf uns, auch eine neue Herausgeberin stellt sich vor.

Marianne Labisch ist dem Freund der Publikationen von p.machinery wahrlich keine Unbekannte. Dass sie tolle Anthologien zusammenstellen kann, hat sie ausgiebig bewiesen. Zusammen mit „NOVA“-Urgestein Michael K. Iwoleit wählt sie zukünftig die Storys aus, die im Magazin angeboten werden.

Vorliegend haben sie ein wahrlich buntes Potpourri zusammengestellt.
Wie gewohnt sind die Beiträge alle farblich illustriert, inhaltlich abwechslungsreich und stilistisch ansprechend.

 

Den Auftakt macht Maike Braun (die technische Neuentwicklung eines Chips hat den Männern ihren Traum von der perfekten Frau erfüllt - dann soll die nächste Generation ausgebracht und die Persönlichkeit der Dame des Hauses in einen künstlichen Körper hochgeladen werden), die uns eine faszinierende Geschichte präsentiert, die deutlich feministische Aussagen anspricht und die Perversität des Macho-Denkens entlarvt.
C. M. Dyrnberg hält ein Beziehungsdrama für uns bereit (er stellt uns einen Mann vor, der auswandert. An Bord eines Raumschiffes, in dem die Siedler in tiefgefrorenem Zustand transportiert werden, wird er regelmäßig wiederbelebt, nur um jedes Mal an seine Ex erinnert zu werden, die ihn kurz vor dem geplanten Abflug verlassen hat).
J. A Hagen weiß mit einer intelligenten Zeitreise-Story (in Verbindung mit einem Erstkontakt) zu gefallen.
Lars Hannig nimmt sich des hemmungslosen Strebens nach der eigenen Karriere auf äußert vergnügliche Art an (ein verlassenes Einkaufszentrum spielt eine nicht unwichtige Rolle).
Karsten Kruschel berichtet uns von einem gar merkwürdigem Phänomen (blaue Türme, die die Realität verändern, spielen eine gewissen Rolle)
Dirk Alt warnt eindringlich vor den Gefahren und den Möglichkeiten der modernen Biotechnik
Thomas Grüter unterhält uns mit einer waschechten Piraten-Geschichte (die nach dem klimatischen Kollaps angesiedelt ist).
Frank Neugebauers Slipstream-Geschichte entführt uns nach 1983 - in eine Vergangenheit, die aber so ganz anders ist, als gedacht (komplett mit einem Mutantenkönig, jeder Menge an die Kuppeldecke geworfener Filme und einer Welt nach einem verheerenden Krieg), der Costa Ricaner
Iván Molina beschäftigt sich mit den ethischen Grundsätzen, die KIs und Anorganische zu verantwortungsvollem Handeln anleiten sollen (hier aber die Herrenrasse wieder zum Vorschein bringt).
Michael K. Iwoleit entführt uns zum Abschluss in eine Zukunft, in der alle Wahrnehmung mittels Algorithmen weichgezeichnet, Menschen aus einem Genpool gezeugt werden und unser Erzähler, einer der Schöpfer dieser modernen Welt, in der Augmented Reality etwas sucht, das er dort nicht finden kann - Liebe.

Zwei kurze Sekundärartikel von Wolfgang Asholt sowie Manuel Mackasare schließen den Band ab.


Was hat mich persönlich nun besonders angesprochen?

Thomas Grüters „Der Gast“ spielt in einer Zukunft, in der weite Teile unseres Planeten für Menschen nicht länger zum Leben geeignet sind, auf dem aber die alten Muster aus Habgier, Herrschsucht und Verzweiflung nach wie vor an der Tagesordnung sind, hat mich sehr spannend unterhalten.

Die einzige Übersetzung von Iván Molina („Deutsche Einsamkeit“), der sich mit der drohenden Wiederkunft der Herrscherrasse beschäftigt, hat mich ob ihrer real wirkenden Bedrohung erschreckt.

Und schließlich die Novelle von Michael K. Iwoleit - ein Text, der gut auch eine Solo-Veröffentlichung hätte anstreben können, eine Geschichte, die nicht nur sehr überzeugend eine Zukunft prophezeit, die nicht ganz unwahrscheinlich ist, die mich aber ob der Verzweiflung, der Haltlosigkeit und der Sehnsucht nach Geborgenheit (die aus den Zeilen des Protagonisten sprechen) tief berührt hat. Keine einfache Lektüre, aber, so man sich auf den Erzähler einlässt, eine Lebensbeichte, in der ich Vieles wiedergefunden habe, die meisterhaft eine Persönlichkeit ohne Halt, ohne Zufriedenheit, ohne Ziel porträtiert, die nichts mehr sucht als das, was sie nicht zu finden imstande ist - eben jenes hohe Gut, das wahre Liebe schenkt. Ich vermute einmal: Ein Platz auf der Shortlist zum Kurd Laßwitz Preis ist der Novelle sicher.