Marion Merkelbach: Wahrheit und Irrtum (Buch)

Marion Merkelbach
Wahrheit und Irrtum
2021, Taschenbuch, 224 Seiten, 11,99 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Christel Scheja

Nach ihrem Studium der Kunstgeschichte und Archäologie hat es sich Marion Merkelbach zur Aufgabe gemacht, die Vergangenheit der Bodensee-Region in ansprechenden Romanen wieder zum Leben zu erwecken. In „Wahrheit und Irrtum“ kehrt sie in eine Epoche zurück, die gerne vernachlässigt wird: das späte sechste und beginnende siebte Jahrhundert, eine Zeit, in der sich in Mitteleuropa erste bedeutende Reiche bilden, aber auch andere Einflüsse ausbreiten.


Einer Vision und einem Geheimnis folgend, verlassen der irische Mönch Columba und einige seiner Freunde und Gefährten die Insel, um auf dem Kontinent Fuß zu fassen und ihre Lehren zu verbreiten. Schließlich gründen sie sogar ein Monasterium, dessen Wissen allen offen steht, ungeachtet ihres Ranges und Geschlechts. Zugleich versuchen sie den christlichen Glauben mit den Werten alter heidnischer Religionen zu vereinen.

Doch das bringt auch viel Ärger mit sich, denn natürlich lassen die Vertreter der Römischen Kirche nicht zu, dass die Freigeister ihre ketzerischen Lehren und Ideen verbreiten und auch noch dem Papst und seinen Bischöfen in vielem zu widersprechen wagen.


Man merkt sehr deutlich, dass die Autorin mit einem ganz anderen Anspruch an die Geschichte heran geht, als es Unterhaltungsautoren machen. Deshalb sollten Leser keine dramatische Geschichte erwarten, sondern eher eine Zusammenstellung von Szenen im bewegten Leben der Gemeinschaft, die auf dem Festland Fuß zu fassen versucht.

Das bedeutet nicht, dass Gefühle und Leidenschaften keine Rolle spielen dürfen, sondern ganz im Gegenteil, sie treiben die Figuren oft genug voran, neue Schritte zu wagen oder eben auch sich gegen die Mächtigen zu stellen.

Im Mittelpunkt steht eher die ganz besondere Glaubensauffassung der irischen Missionare, die immer noch wie die Urgemeinden auf eine gewisse Gleichberechtigung von Frau und Mann setzt, zugleich aber auch die früheren Werte der Einheimischen nicht verleugnet.

So entsteht ein interessanter Widerspruch zur Römischen Kirche, die sich bereits erfolgreich gegen andere Glaubensrichtungen wie die Arianer durchgesetzt hat und deshalb auch mit den Skoten kurze Prozess machen will. Aber die lassen sich trotz vieler Rückschläge nicht beirren und tragen ihr Wissen weiter, säen den Samen auch in den Gegenden, die sich bisher noch nicht dem neuen Glauben angeschlossen haben. Und trotzen auch den Mächtigen, die sie gerne instrumentalisieren wollen.

Tatsächlich holt die Autorin damit Aspekte ans Licht, die in den Schulbüchern nicht zu finden sind und vermutlich auch gerne von Historikern unter den Tisch gekehrt werden. Aber gerade das zeigt, das weder die Gründung eines großen Reichs zu dieser Zeit einfach war, noch die Verbreitung des christlichen Glaubens, zumal auch da die Auffassungen sehr unterschiedlich sind. Merkelbach schlägt sich eindeutig auf die Seite der Iren, die eine viel modernere und volksnahe Form des christlichen Glaubens bieten und durch ihr Beispiel die einfache Bevölkerung leichter für sich gewinnen, aber sie holt auch Geheimnisse ans Licht, die bisher nur Wenigen bekannt war, wie die Tatsache, dass die Worte Christi nicht erst von Luther in eine vielen vertrautere Sprache übersetzt wurde.

Die Erzählung mag gelegentlich etwas trocken und erklärend wirken, erfüllt aber ihren Zweck, denn man kommt den Hauptfiguren sehr nahe und lernt ohne viel Drumherum ihre Gedankenwelt zu verstehen. Allerdings endet die Geschichte recht offen, denn auch wenn erste Weichen gestellt sind, das Ziel - die Gründung des Klosters Sankt Gallen - ist noch nicht erreicht, so dass vermutlich weitere Bände folgen werden, die diese bisher gerne vergessene Zeit näher beleuchten.

„Wahrheit und Irrtum“ ist der Auftakt zu einer Serie, die den Weg zur Gründung des Klosters Sankt Gallen schildert und dabei eine Zeit zum Leben erweckt, die gerne schon einmal in den Hintergrund gedrängt wird. Gerade auch was das noch immer im Wandel begriffene Christentum angeht, das auch hier in einer eher unbekannten, aber Deutschland später prägenden Variation vorgestellt wird.