Christian Endres: Sherlock Holmes und die Tigerin von Eschnapur (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Donnerstag, 03. Februar 2022 12:58

Christian Endres
Sherlock Holmes und die Tigerin von Eschnapur
Titelbild und Innenillustrationen: Timo Kümmel
Atlantis, 2021, Hardcover, 230 Seiten, 17,90 EUR (auch als eBook erhältlich)
Rezension von Irene Salzmann
Im Vorwort („Zurück in der Baker Street“) plaudert Christian Endres ein wenig aus dem Nähkästchen und verrät, dass der vorliegende Band im weitesten Sinn auf einer vor Jahren geplanten Kurzgeschichtensammlung beruht, die nie und erst jetzt unter völlig anderen Gesichtspunkten realisiert wurde. Das Resultat ist eine Kompilation mehrerer Storys, die einst in verschiedenen Magazinen, aber nie gesammelt publiziert worden waren, sowie einigen Ideen aus dem ursprünglich angedachten Projekt. Weitere Details zu den einzelnen Storys verrät der Autor in den Anmerkungen am Ende des Buchs.
Christian Endres präsentiert sechzehn kürzere und längere Geschichten in der vorliegenden Sammlung, die zwar dem Kanon folgen, in einigen Fällen jedoch auch die bei manchen Fans umstrittenen Fantasy-Elemente beinhalten. Wie üblich werden fast alle Kriminalfälle aus der Sicht von Sherlock Holmes‘ Freund und Chronist Dr. John Watson geschildert.
In der titelgebenden Erzählung, „Sherlock Holmes und die Tigerin von Eschnapur“, versetzt ein freilaufender Tiger, dem angeblich schon einige Menschen zum Opfer gefallen sind, die Bevölkerung in Panik. Sophies Besitzerin Ms. Sterling wendet sich mit ihrem Hilfeersuchen an den Detektiv: Die von ihr aufgezogene Tigerin wurde entführt und soll, sobald sie gefunden wurde, erschossen werden, obwohl sie nie aus freien Stücken Menschen jagen würde. Schnell stoßen Holmes, Watson und Ms. Sterling auf eine heiße Spur und erkennen darin eine falsche Fährte, die sie zu jenem führt, der ein Motiv hat, das Tier für seine Zwecke zu missbrauchen.
Holmes und Watson nehmen sich in „Eine Studie in Fuchsrot“ einer jungen Dame an, die völlig unbekleidet vor dem Haus in der Baker Street auftaucht und von streunenden Hunden angeknurrt wird. Während ihr Anliegen durchaus nachvollziehbar ist, sind die ganzen Umstände umso ungewöhnlicher, denn die Klientin ist keine gewöhnliche Frau und hat nur diese einzige Chance, ihre Angelegenheit vielleicht zu regeln.
Ein Auftrag seines Bruders Mycroft lässt „Sherlock Holmes in der Bibliothek des Drachens“, in Japan, auf den Handlanger seines größten Feindes Professor Moriarty stoßen. Um wertvolle Bücher, die gefährliches Wissen beinhalten, zu stehlen, ermordet Colonel Moran die Mönche, die seit Generationen diesen Schatz hüten. Kommt Holmes zu spät?
Das sind nur drei Beispiele für die Themenvielfalt, mit der Holmes-Kenner Christian Endres für spannende Unterhaltung sorgt und die typische Atmosphäre des viktorianischen Zeitalters, sowohl durch seine Beschreibungen als auch die Wortwahl, heraufbeschwört - egal, ob er sich für einen klassischen Krimi oder einen Fall mit Fantasy-Elementen entschieden hat.
Nicht nur tauchen alle wichtigen Charaktere aus Sir Arthur Conan Doyles Geschichten auf, darunter Holmes und Watsons Vermieterin Mrs. Hudson, Inspector Lestrade, der oftmals sehr hilfreiche Straßenjunge Wiggins mit seiner Bande, sondern es werden auch PHantasievolle Verbindungen geknüpft zu Mythen, Roman- und Film-Motiven: Allein durch das Spiel mit dem Titel erinnert man sich an „Der Tiger von Eschnapur“ (nach dem Roman „Das indische Grabmal“ und den Drehbüchern von Thea von Harbou [u. a.]). Ferner dienen als Quell der Inspiration die japanischen gestaltwandelnden Fuchsgeister (Kitsune), die nun auch in modifizierter Form in Großbritannien beheimatet sind. Auch zu erwähnen sind die Legende um die Affen von Gibraltar, H. G. Wells‘ „Dr. Moreau“, der im Militärdienst befindliche Bruder von Lord „Tarzan“ Greystoke von E. R. Burroughs etc. Der eine oder andere und viele mehr, reale und fiktive Personen, hatten bereits Gastauftritte an der Seite von Holmes.
Auch diese Wiedersehen und die regelmäßigen, überraschenden und zugleich zeitlich passenden Erweiterungen des Holmes-Universum tragen viel zur Beliebtheit der Fälle bei, die der Detektiv mittels Beobachtungsgabe, eines umfangreichen Wissensschatzes und logischen Schlussfolgerungen immer wieder zu lösen hat. Selbst in kurzen Storys muss er stets ein kniffliges Rätsel lösen, dessen Aufklärung letztlich in sich schlüssig ist.
Die Gestaltung des Buchs ist hochwertig: Hardcover im Paperback-Format mit Lesebändchen sowie Schwarzweiß-Illustrationen im Innenteil. Front- und Backcover nehmen Bezug auf zwei Erzählungen, die Cover-Innenseiten zeigen das nächtliche London. Schöpfer der stimmungsvollen Motive ist einmal mehr Timo Kümmel.
Für Sherlock-Holmes-Freunde ist dies ein weiterer kurzweiliger Band voller Aha-Effekte, den man gern der Sammlung hinzufügt.