Silvia Hildebrandt & Ira Habermeyer: Winterschwalben (Buch)

Silvia Hildebrandt & Ira Habermeyer
Winterschwalben
2021, Taschenbuch, 220 Seiten, 9,99 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Christel Scheja

Aufgrund ihrer deutsch-rumänischen Herkunft begann sich Silvia Hildebrandt nicht nur für die Vergangenheit ihrer Familie, sondern auch die wahren Verhältnisse hinter dem Eisernen Vorhang zu interessieren. In Ira Habermeyer fand sie bei einer Leserunde eine begeisterte und engagierte Mitstreiterin. Beide Autorinnen schufen so „Winterschwalben“, einen Roman, der ganz besondere Einblicke in den von Russland geführten Ostblock bietet.


Im Winter 1968 stehen die Zeichen auf Veränderung, denn immerhin hatte es Nicolae Ceaușescu, der rumänische Generalsekretär gewagt, den Einmarsch russischer Truppen während des Prager Frühlings offen zu kritisieren. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs, wie der Agent Nelu Nicolescu weiß, der im Nachbarland, der Moldauischen Sozialistischen Sowjetrepublik die politische Lage ausspähen und die Eliten infiltrieren soll.

Arvo Kortelainen, ein Offizier des KGB und von estnischer Abstammung, soll ihn aufhalten, doch als die beiden Männer aufeinandertreffen, zeigt sich, dass sie trotz ihrer Stellung und Ausrichtung mehr gemeinsam haben, als sie denken.


Während der Zeit des Kalten Krieges sind nicht viele Informationen aus dem Ostblock in den Westen gelangt. Die Wahrnehmung wurde geprägt von dem Bild, das vor allem die russische und ostdeutsche Führung vermittelte und die vorgaukeln sollte, dass die Sowjetrepubliken und ihre Verbündeten alle eine große glückliche Familie bildeten, in der es kaum Unabhängigkeitsgedanken oder gar -bestrebungen gab, außer denen, die man nicht vor den Augen der Öffentlichkeit verbergen konnte. Erst im neuen Jahrtausend ist es möglich, einen differenzierteren Blick auf diese, scheinbar in Ideologie erstarrte Welt werfen. Und den wagen die beiden Autorinnen nach ausführlicher Recherche nun.

Im Mittelpunkt stehen zwei Männer, die eigentlich ihren Vorgesetzten verpflichtet sind und systemtreu sein sollten, dann aber doch merken, dass sie einander ähnlicher sind als sie vermuten. Nach außen hin sind sie knallharte Offiziere, ganz auf ihre Aufgabe konzentriert, aber sie haben auch eine sehr menschliche Seite, die sie manchmal nachdenklich werden und Fehler begehen lassen.

Das Ganze mag wie ein Agenten-Thriller aufgezogen sein, erweist sich aber nach und nach mehr als Gesellschaftsroman, der deutlich macht, dass es auch bei scheinbar systemtreu denkenden Offizieren Nationalstolz geben kann und den Wunsch nach Freiheit und Selbstbestimmung. Allerdings gefährden sie ihr Leben, wenn sie dies offen äußern und vertreten würden, denn es gibt als Gegenspieler natürlich auch linientreue Agenten, die unter vollem Körpereinsatz alles tun, um Dissidenten herauszufiltern.

Die Geschichte lebt mehr oder weniger durch die facettenreichen Helden und ihre Interaktion, das Bestreben, irgendwie das Beste aus der Sache zu machen und dabei nicht unterzugehen. Die Handlung selbst läuft am Ende zwar ein wenig aus dem Ruder, aber der gute Eindruck verliert sich nicht. Tatsächlich regt er eher zum Nachdenken an.

So ist „Winterschwalben“ ein interessantes Buch, das nach außen hin zwar einen Spionage-Thriller darstellt, aber letztendlich doch ganz andere Stärken hat, die dazu animieren können, sich näher mit der politisch-gesellschaftlichen Entwicklung im ehemaligen Ostblock noch während des Kalten Krieges zu beschäftigen. Gerade weil sie so lange im Verborgenen gehalten wurde, ist sie umso interessanter.