Cixin Liu: Supernova (Buch)

Cixin Liu
Supernova
(Chaoxinxing Jiyuan, 2003)
Übersetzung: Karin Betz
Heyne, 2021, Paperback, 512 Seiten, 14,99 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

Lius halbwegs voluminöser Roman „Supernova“ (mit 500 Seiten aber längst nicht so dick wie die Bücher der „Trisolaris“-Trilogie) stammt ursprünglich aus dem Jahr 2003 und gilt als sein Debüt (da „Kugelblitz“ erst 2004 veröffentlicht wurde, auch wenn letzterer Roman ursprünglich schon im Jahre 2000 entstand).

Auch dieses „Frühwerk“ des chinesischen Autors lässt sich, wie „Kugelblitz“, auf keinen Fall mit seiner meisterhaften Trilogie vergleichen, ist deutlich schwächer ausgefallen, unterhält aber ebenfalls, ist jedoch auch über weite Strecken eine befremdlich-krude Geschichte, die als Satire angehen könnte, wenn sie eine wäre, dafür jedoch leider keinen Funken wirklichen Humors aufweist (oder vielleicht hat der Rezensent ihn auch nur gar nicht erkannt oder verstanden!?).

Neben den leider völlig hölzernen Charakteren ist vor allem die Glaubwürdigkeit der Geschichte fraglich, denn Lius Menschenbild (oder sagen wir lieber. Kinderbild) ist doch extrem zweifelhaft, die ganze Erzählung zutiefst unrealistisch.

Trotzdem stellt sie eine interessante Lektüre dar, ist der Inhalt doch extrem polarisierend und diskussionswürdig!


Zum Inhalt: Ein der Erde naher Dunkelstern, den noch kein Astronom entdeckt hat, explodiert. Die sich ausbreitende Supernova erfasst mit ihrer starken Strahlung die ganze Erde bis sogar in unterirdische Regionen. Kein einziger Mensch entgeht der Strahlung und die Wissenschaftler weltweit stellen bald fest, dass alle Menschen über 13 Jahren in Kürze an der Strahlung sterben werden. Nur bei Kindern und Jugendlichen ist die genetische Regenerationsrate hoch genug, um die Strahlenschäden zu beseitigen und deren Überleben zu ermöglichen.

So bereiten sich die Chinesen (und andere Nationen wohl auch) darauf vor, dass ganz viele der älteren Kinder die Jobs ihrer Eltern sehr schnell übernehmen müssen, werden alle Erwachsenen doch bald sterben.

Nachdem die Erwachsenen alle abgetreten sind, beschließen die Kinder jedoch, nicht mehr deren Anweisungen zu folgen. Sie wollen nur noch spielen und Spaß haben, egal was dies für die Zukunft bedeutet. Und so folgt auf ein buntes „Bonbonland“ bald ein globaler Krieg jeder gegen jeden in der Antarktis, deren Oberfläche immer mehr taut. Mit unbändigem Spaß beginnen die Kinder sich gegenseitig abzuschlachten...


Wer dies liest, fragt sich unwillkürlich, ob er im falschen Film ist. Macht es Kindern wirklich Spaß im Panzer durch den Kugelhagel zu donnern und dabei geröstet zu werden, bei lebendigem Leib zu verbrennen? Ist es toll, die Gegner mit allen möglichen Waffen anzugreifen, wenn um einen herum die Granaten fallen, Freunde sterben und man selbst verkrüppelt oder getötet wird?

Völlig empathiefrei erzählt der Autor hier eine surreal wirkende Geschichte, in der sich die Reste der Menschheit einerseits dem totalen Hedonismus hingeben, andererseits auch vor dem Abwurf von Atombomben und grausamsten Schlachtereien nicht zurückschrecken, weil dies offensichtlich für Kinder „ultrasupergeil“ ist!?

Sind die denn alle verrückt, debil oder ultrapatriotische Machos? Unsägliche Klischees vom rustikalen US-Amerikaner mit Hang zum Waffen-Fetischismus lassen es dann ja auch verständlich erscheinen, dass die „friedlichen Chinesen“ mal kurz zur Atombombe greifen. Verbale Entgleisungen des Autors wie auf Seite 448 (hier wird die Dekadenz der USA gerügt, Hippies und Punks für den Untergang der einst stolzen Nation verantwortlich gemacht, welche die Welt als Klopapier betrachteten und die einstigen „Helden“ heute sentimental, bibbernd, abgestumpft und zerbrechlich beim Anblick von ein bisschen Blut seien und nur noch verweichlicht herumheulen würden) tun ein Übriges dazu, die Geschichte für das Delirium eines Geisteskranken zu halten.

Niemand kann behaupten, dass Kinder kleine Engel sind und nur Gutes in ihnen steckt (so wie Herbert Grönemeyers Text dies einst zu unrecht nahe legte; aber dies dabei doch wenigstens charmant tat). Aber die kalten, extrem verhaltensgestörten Bestien, die den Planeten in Klumpen bomben, wie Liu dies hier für realistisch hält, erscheinen sogar für einen ausgesprochenen Menschenhasser extrem zu sein. Wenn dies das chinesische Menschenbild ist, dann schütze uns Gott vor den Chinesen!

Aber wahrscheinlich ist Lius Sichtweise eine Einzelmeinung (hoffentlich!), oder ich habe irgendwo als Unkundiger einfach die feine Klinge chinesischer Satire übersehen, die der Autor hier schwingt. Oder meint er dies wirkliche ernst?

Tief Luft geholt und nüchtern analysiert: Nach den ersten 150 Seiten nimmt die Geschichte Fahrt auf, den kindlichen Hedonismus zu beobachten macht Spaß und tatsächlich wäre eine Welt voller Kinder bestimmt anders, als die Erwachsenen sich dies vorstellen. Liu hat dazu eine äußerst „interessante“ Meinung, und es lohnt absolut, sich damit inhaltlich auseinander zu setzen. Man muss seine Sichtweise aber sicher nicht teilen!

Das Buch ist immerhin so packend und faszinierend, dass man in Windeseile zum Ende der Geschichte kommt. Somit ist „Supernova“ schon einmal kein Langweiler! Zudem gibt der Roman viele Denkanstöße. Mein Lieblingsbuch wird er dieses Jahr wohl eher nicht, aber verschwendete Zeit war es auch nicht, ihn zu lesen.

Er eröffnet einer sehr verschrobenen und geradezu bizarren Sichtweise eine neue Perspektive und gibt Denkanstöße, die durchaus interessant sind. Man sollte ihn wirklich mit Freunden gründlich diskutieren. Damit leistet der Roman viel mehr als manch anderes, viel glatteres Werk!

Erfreulich also, dass Heyne ihn bringt, trotz oder gerade wegen der krassen Ansichten des Autors.