Kai Meyer: Fürimmerhaus (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Mittwoch, 29. September 2021 13:16
Kai Meyer
Fürimmerhaus
Titelbild: Alexander Kopainski
Sauerländer, 2021, Hardcover, 380 Seiten, 18,00 EUR (auch als eBook erhältlich)
Rezension von Carsten Kuhr
Was passiert nur mit den jugendlichen Helden, wenn sie ihre Welt gerettet haben? Sicherlich, die Dankbarkeit ihrer Mitmenschen ist ihnen gewiss, nur die eigentlichen Herrscher haben ein gewisses Problem. Die Retter legen beredt Zeugnis davon ab, dass die Honoratioren versagt haben. Also müssen sie weg - allerdings nicht endgültig, schließlich könnte man sie eines Tages ja vielleicht noc, gebrauchen.
Als Lösung haben die Herrschenden das Fürimmerhaus in petto. Ein Haus, weit abseits aller Dimensionen, in das die Heldinnen und Helden kurzerhand versetzt werden.
Sie kommen ohne jegliche Erinnerung an ihre Vergangenheit an, bekommen ihren Namen und in einem Satz einen Hinweis, wie sie in ihrer Herkunftswelt triumphiert haben, danach werden sie sich selbst überlassen. Dass sie nicht altern ist ein angenehmer Nebeneffekt des Hauses, dass sie aber sehr wohl erkranken oder getötet werden können sorgt dafür, dass immer wieder Plätze im Haus frei werden.
Dazu muss man wissen, dass das Fürimmerhaus lebendig ist, dass es inzwischen krankhaft wuchert und de facto Krieg herrscht. Tief im Innern des Hauses residiert der Erbauer - allerdings hat diesen seit Jahren niemand mehr zu Gesicht bekommen.
Carter gelangt durch einen Schacht ins Haus. Anders als die dort lebenden Helden erinnert es sich zumindest noch an seinen Namen, auch das sonst übliche Empfangskommando gibt es für ihn nicht.
Er schließt sich den Exilanten an und begibt sich auf den abenteuerlichen Weg ins Innere des Hauses, verfolgt durch mannigfaltige Wesen: einem Uhrenmann, Archonten, Treibholzmenschen, Famuli, Kammerherren und die Eulenhexe sind hinter ihnen her, während sie sich ins Innere vorantasten…
Kai Meyer wird zurecht als magischer Realist, als wundervoller Stilist, der mit geradezu überbrodelnder Phantasie ausgestattet ist, gefeiert. Seine Werke landen regelmäßig auf den Bestseller-Listen, wobei er zumeist weit abseits des Üblichen unterhält.
In vorliegendem Einzelroman erzählt er uns eine etwas andere Geschichte, als ich sie von ihm gewohnt war.
Stilistisch wieder sehr versiert, teilweise geradezu malerisch schön, entführt er seine Leserinnen und Leser an einen ganz besonderen Ort. Ein lebendiges, sich veränderndes Haus, das krankhaft wuchert, in dem der Erbauer verschollen ist, vielleicht gar seine Schöpfung sich selbst überlassen hat, in dem Anarchie herrscht.
Wie bei Meyer so üblich, unterfüttert er seine Handlung mit so einigen Denkanstößen. Es geht um Selbstbestimmung, auch was das Ende des eigenen Lebens anbetrifft, es geht darum, dass zuviel Frieden zu Stagnation führt, dass Einseitigkeit nie gut ist, dass sich nur aus Gegensätzlichkeit Neues entwickeln kann.
Dennoch hat vorliegender Roman mich zunächst nicht, wie sonst üblich, in seinen Bann gezogen.
Der Erzähler, Carter, ist sich selbst kaum bewusst, weiß nichts über seine Vergangenheit, nichts über das Haus. Wir können durch seine staunenden Augen selbiges erkunden und kennenlernen, treffen seine Leidensgenossen inklusive eines Riesenkaninchens mit einem Rapier, erschließen uns peu a peu das Haus und dessen Hintergründe - doch ein angenehmer Erzähler, Helden-Material, ist er nicht. Dazu fehlt ihm schlicht zunächst die Tiefe.
Der eigentliche Hauptdarsteller des Romans ist vorliegend daher auch nicht Carter oder einer seiner Gefährten - sondern eben jenes Haus. Dies führt dazu, dass anders als in den meisten Romanen aus Meyer’scher Feder der Rezipient nicht einfach in die Haut des Protagonisten schlüpfen kann, um mit diesem die Abenteuer zu erleben, mitzufiebern und manches mal zu triumphieren; vorliegend wird man mehr durch die so phantastische, merkwürdige Bühne - das Haus - und die damit verbundenen Mysterien an die Seiten gefesselt.
Von der Atmosphäre her erinnert mich das Werk an eine Mischung aus Mervyn Peakes „Gormenghast“ (Hobbit Presse) und Garth Nix’ „Schlüssel zum Königreich“ (dt. Lübbe) - nicht das Schlechteste, was man von einem Buch sagen kann.
Es ist ein etwas anderer Kai Meyer, den der Verlag uns hier vorlegt. Ein Buch, dessen Zugang für den Leser Geduld erfordert, ein Plot, der lange offen bleibt, Erzähler, die nicht, wie sonst bei dem Verfasser üblich, uns gleich faszinieren und für ihn einnehmen - ergo ein Roman, für den man sich Zeit nehmen muss, der sich nicht locker „runterlesen“ lässt, der viele Denkanstöße vermittelt und mit einem ganz eigenen Setting aufwartet.