Jo Koren: Vektor (Buch)

Jo Koren
Vektor
Titelbild: Mark Freier
Atlantis, 2016, Paperback, 190 Seiten, 12,90 EUR (auch als Hardcover und eBook erhältlich)

Rezension von Elmar Huber

Dr. Alpha Novak versieht ihren eintönigen Dienst auf der Raumstation Eris TKS, wo sie hauptsächlich die leistungssteigernden Prothesen und Implantate der Asteroiden-Bergbau-Arbeiter überprüft und bei Bedarf repariert oder eine neue Software einspielt. Bei einem ihrer Patienten kommt sie mit den Standardvorgehen nicht weiter. Sie gräbt tiefer, analysiert und kommt zu dem Schluss, dass die Fehlfunktion des defekten Hirnimplantats von einem Virus verursacht wird. Ein Fall, der bislang beispiellos ist.

Durch die Prüfung mit dem Analysegerät und Vergleichsmessungen an intakten Implantaten könnte sich der Virus bereits auf mehreren Geräten ausgebreitet haben. Im schlimmsten Fall könnte schon der Zentralrechner von Eris TKS betroffen sein. Dass die Raumstation plötzlich ‚selbständig‘ agiert und die Schwerkraft auf ein für Menschen bedrohliches Level ansteigt, kann zu diesem Zeitpunkt kein zufälliger Defekt sein. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, doch zuerst muss sie ihre medizinischen Kollegen und Vorgesetzten von ihrem Verdacht überzeugen.

 

Jo Korens “Vektor“ ist ein eher untypischer Science-Fiction-Roman, der trotz der stetig wachsenden Bedrohungslage, sehr ruhig und beinahe gemütlich erzählt ist.

Sobald man sich im Geschehen orientieren konnte und die Handlung in Bewegung gekommen ist, erfährt man in einigen Rückblenden endlich etwas mehr über die Hauptfigur Alpha Novak. Vor allem, warum ihr eine medizinische Karriere auf der Erde verwehrt geblieben ist und sie wohl oder übel den tristen und schlecht bezahlten Job eines ‚Fabrikarztes‘ in einer wenig heimeligen Raumstation annehmen musste. Das funktioniert zwar wegen ihres nachvollziehbaren moralischen Kompasses, doch bleibt die Figur weiterhin auf emotionalem Abstand zum Leser.

Wie eine Detektivin fuchst sich die Ärztin, nachdem ihr Verdacht einer Virusinfektion immer mehr Gestalt annimmt, durch die Indizien - ein toter Techniker hängt offenbar ebenfalls mit den Ereignissen zusammen - und versucht, die Klinik- und Stationsleitung von ihrer Theorie zu überzeugen. Die Ereignisse spitzen sich weiter zu, und es kommt zu einigen gefährlichen und unerklärlichen Manövern, die vermuten lassen, dass der Virus bereits die Kontrolle über Eris TKS übernommen hat. Auch ist durchaus denkbar, dass Alpha Novak selbst bereits ‚befallen‘ und ihrer Wahrnehmung und Entscheidungslogik nicht mehr zu trauen ist.

Wo andere Autoren wahrscheinlich die Paranoia-Schraube angezogen hätten, schreibt Jo Koren unaufdringlich und ohne übertriebene Effekthascherei, doch konsequent spannend weiter.

So ist „Vektor“ ein kühler Understatement-SF-Thriller, der auch einige ethische Fragen aufwirft, dabei aber den erhobenen Zeigefinger vermeidet.

Von der Figur Kit, einem Bonobo mit Hirnimplantat, der als Assistent von Alpha Novak fungiert, hätte man gern mehr gelesen. Dies geschieht vielleicht im Nachfolgeband „Transmission“, wo die Abenteuer von Dr. Alpha Novak und Kit auf der Erde weitergehen.

2017 war „Vektor“ für den Deutschen Science Fiction Preis nominiert.