Carole Stivers: Der Muttercode (Buch)

Carole Stivers
Der Muttercode
(The Mother Code, 2020)
Übersetzung: Jürgen Langowski
Heyne, 2021, Paperback, 414 Seiten, 15,00 EUR (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

Als die US-Amerikaner Ende der 2040er Jahre beschließen, einige Terroristen in Afghanistan vermittels biologischer Waffen zu töten, leiten sie damit unwissentlich das Ende der aktuellen menschlichen Zivilisation ein. Denn der Krankheitserreger ist resistenter als angenommen, mutiert und verbreitet sich bald über die ganze Welt. Leider liegt die Sterblichkeitsrate der hier ausgesäten Lungenerkrankung bei fast 100 Prozent und ehe sich die Verantwortlichen über ihre Untat klar werden, beginnt die Menschheit zu sterben.

In der Not verfällt das Militär auf die Idee, einige hoch gezüchtete Roboter in fliegenden Maschinen zu installieren und diese Embryonen austragen zu lassen, die gegen die Krankheit immun sein werden. Ein eilig erzeugter Impfstoff für die aktuell lebenden Menschen hilft leider nur immer recht kurzfristig und lässt die Benutzer doch langfristig sterben.

Und so überleben nur einige Hopi-Indianer, die genetisch geschützt sind, einige Militärangehörige, deren Tod aber auch absehbar ist, und die wenigen neu geborenen Kinder, die von ihren Robotermüttern geschützt und erzogen werden. Bald zeigt sich jedoch, dass diese Mütter niemanden an ihre Schutzbefohlenen heran lassen. Eine Vereinigung und Bündelung der überlebenden Kräfte scheint so nicht möglich. Muss man die „paranoiden“ elektrischen Mütter abschalten und somit den Kindern alles nehmen?

Verzweifelt suchen die wenigen Menschen der „alten“ Zivilisation nach einer Möglichkeit, um die Kinder nicht traumatisieren zu müssen. Doch kann dies gelingen?


Carole Stivers erzählt die clever konstruierte Geschichte zu Anfang nicht chronologisch, sondern streut auch immer wieder zeitlich spätere Handlungselemente mit ein, so dass sich erst nach einiger Zeit ein kongruentes Bild ergibt. Dabei hebt die Autorin sich ihre Trumpfkarte bis zum Schluss auf, denn durch den Kniff mit den feindseligen Müttern bleibt eine große Aufgabe bis zum Ende der Geschichte offen: Wird eine friedliche Vereinigung gelingen?

Die vorliegende Erzählung ist atmosphärisch dicht, plastisch beschrieben und von Jürgen Langowski (wie immer) hervorragend übersetzt. Große Spannung, ein geschickter aktueller Pandemiebezug und das flüssige Leseerlebnis sind eindeutig die Stärken des Romans.

Großes Manko sind dagegen die blassen und (wenn überhaupt erkennbar) klischeehaften Charaktere der Geschichte (der geneigte Leser hat vielleicht bemerkt, dass der Rezensent keinen einzigen Protagonisten-Namen erwähnt hat; dies kommt nicht von ungefähr), die eine Identifikation für den Lesenden nicht gerade einfach macht. Zum Glück tritt diese Schwäche in den Hintergrund dank der erwähnten Stärken.

„Der Muttercode“ ist kein Meilenstein des Katastrophen-Romans (…und was passiert eigentlich mit all den großen, nun frei umherstreifenden hungrigen Hunden?), aber immerhin eine sehr lesenswerte Geschichte, die auch durch den Mut der Autorin besticht, die eigene Regierung und damit eigene Landsleute zu den Schuldigen des Zivilisationsuntergangs zu machen. Wäre es doch nur zu einfach gewesen, den Chinesen oder den Russen die ganze Verantwortung zuzuschieben für das entgleiste Virus. In China oder Russland hätte ein Buch, das die eigene Regierung zum Schuldigen macht, sicherlich nicht erscheinen dürfen! (Vielleicht ist dies aber auch nur ein cleverer Schachzug der Autorin, denn so könnte ihr Buch eben auch in China und Russland publiziert werden).