Kelley Armstrong: Die dunklen Mächte: Schattenstunde (Buch)

Kelley Armstrong
Die dunklen Mächte: Schattenstunde
(Darkest Powers: The Summoning, 2008)
Aus dem Englischen von Christine Gaspard
Pan, 2010, Hardcover, 412 Seiten, 14,99 EUR, ISBN ISBN 978-3-426-28341-7

Von Gunther Barnewald

Die gerade 15jährige Chloe sieht in ihrer Schule, kurz nachdem sie ihre erste Periode bekommen hat, plötzlich einen furchtbar verbrannten Mann, der unbedingt mit ihr reden will, den aber niemand anderer wahrzunehmen scheint. Als Chloe in Panik ausbricht, wird sie in eine Klinik gebracht, von dort schnell in eine Einrichtung, die sich Lyle House nennt, und in der schon drei weitere Mädchen und drei Jungen sich aufhalten, um wieder „gesund“ zu werden.

Die behandelnde Ärztin erklärt Chloe, dass sie Halluzinationen habe, bei ihr eine schizophrene Erkrankung ausgebrochen sei, und sie von nun an Medikamente einnehmen müsse, um die Symptome zu unterdrücken. Zuerst glaubt Chloe dieser Aussage, bleibt jedoch skeptisch, denn vielleicht hat sie ja mit einem Geist geredet. Und tatsächlich zeigt eine Internetrecherche, dass dereinst ein Hausmeister durch eine Explosion im Chemielabor ums Leben gekommen ist an ihrer Schule. Kann sie also wirklich mit Geistern sprechen, oder leidet sie an einem Wahn?

Je länger sich die Schülerin in Lyle House aufhält, desto mehr schöpft sie den Verdacht, dass auch einige ihrer Mitpatienten übersinnlich begabt sein könnten, und sie mit den Medikamenten nur betäubt werden sollen. Als sich dann auch noch die sprichwörtlichen Leichen im Keller in Lyle House als Realität herausstellen, gerät Chloe in Gefahr, jedwedes Vertrauen zu ihren angeblichen Helfern zu verlieren, zumal eine Mitpatientin sie in Lebensgefahr bringt...

Der Autorin ist ein über weite Strecken anrührendes und fesselndes Portrait einer Pubertierenden gelungen, die über magische Kräfte verfügt und damit offensichtlich nicht alleine ist. Dass Chloes einigermaßen heile Welt ausgerechnet am Tage ihrer ersten Menstruation in sich zusammen bricht, darf man wohl als nur allzu symbolisch werten. Auch die Orientierungsversuche der Schülerin, die versucht, sich in ihrer veränderten Welt zurechtzufinden und bestrebt ist, für sich zu erkennen, wem sie trauen kann, und wem nicht, ist packend beschrieben. Der starke kriminalistische Einschlag ist dem Spannungsgehalt sehr förderlich.

Leider lässt die Geschichte aber im letzten Viertel erheblich nach, und das offene Ende, welches direkt zur Fortsetzung überleitet (die bei uns aber erst im Dezember erscheint), ist fast schon eine Unverschämtheit (einen Roman mit einem Cliffhanger zu beenden ist wohl nicht ganz die feine englische Art, selbst für eine Autorin aus diesem Land). Eine weitere Zumutung besteht in der sehr unkritischen Vermischung einer schweren psychischen Erkrankung (Schizophrenie) mit Chloes übersinnlichen Fähigkeiten, was dazu führen könnte, dass jugendliche Leser glauben, Psychosen seien in Wirklichkeit nur Anzeichen für magische Fähigkeiten. Neuroleptika (also die Medikamente zur Behandlung dieser Krankheit) dienten somit nur der Leugnung selbiger und der Ruhigstellung der Begabten (was manchmal psychotische Patienten auch tatsächlich glauben in ihrem Wahn!). Hier spielt die Autorin eindeutig mit dem Feuer, vor allem da zu viele von Chloes Mitpatienten ebenfalls übersinnliche Kräfte haben, wie sich im Verlauf der Handlung zeigt.

Sieht man von diesen Einwänden ab, ist der Autorin ein spannendes, atmosphärisch dichtes (und teilweise echt gruseliges) Buch gelungen, in dem vor allem die Schilderung der verschiedenen jugendlichen Charaktere überzeugt.