Gruselkabinett 165: Das alte Kindermädchen erzählt, Elizabeth Gaskell (Hörspiel)
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- Veröffentlicht: Donnerstag, 03. Dezember 2020 10:43
Gruselkabinett 165
Das alte Kindermädchen erzählt
Elizabeth Gaskell & Marc Gruppe (Script)
Sprecher: Herma Koehn, Julia DeLuise, Claudia Urbschat-Mingues u.a.
Titelbild: Ertugrul Edirne
Titania Medien, 2020, 1 CD, ca. 80 Minuten, ca. 8,99 EUR
Rezension von Christel Scheja
Elizabeth Gaskell (1810-1865) dürfte den Meisten eher durch ihre Gesellschaftsromane bekannt sein, in denen sie oft auch das zunehmende Elend während der industriellen Revolution aufgriff und kritisierte, obwohl sie natürlich ihre Leser vor allem durch melodramatische Schicksale in den Bann schlug. „Das alte Kindermädchen erzählt“ ist weniger bekannt, hat aber auch einen übernatürlichen Einschlag.
Die vierzehnjährige Hester wird von einem Pfarrer-Ehepaar in ihr Heim geholt, damit sie sich um die kleine Tochter kümmern kann. Die junge Frau bleibt deshalb auch nach dem Tod der Eltern eine wichtige Bezugsperson für die fünfjährige Rosamund, die durch Verwandte auf ein abgelegenes Gut geschickt wird, auf dem nur noch eine Großtante des Kindes mit Gesellschafterin und ein wenig Personal lebt.
Zunächst ist alles gut, die kleine Rosamund verzaubert selbst die alten grantigen Damen. Doch zum Winter hin kehrt das Grauen in Gestalt geisterhafter Erscheinungen ein. Und um ihren Schützling zu retten, macht sich Hester daran, das Geheimnis zu ergründen.
Das Hörspiel nimmt sich mit knapp 80 Minuten sehr viel Zeit, die Handlung in Szene zu setzen - aber genau das bringt auch das richtige Ambiente in die Gruselgeschichte, die gleichzeitig einen Blick auf die Entwicklungen in der frühen viktorianischen Ära bringt.
Es ist schon bezeichnend, nach welchen Kriterien die Kindermädchen ausgesucht werden und wie sehr es gerade Mädchen aus armen Elternhäusern begrüßen, ein solches Dienstverhältnis zu bekommen. Und auch sonst schimmern die damaligen Auffassungen der feinen Gesellschaft immer wieder durch, in der schon ein kleiner Fehltritt Verdammung und Tod bedeuten konnte. So haben auch die Geister, die immer mehr in Erscheinung treten, einen guten Grund, sich bemerkbar zu machen.
Dass Elizabeth Gaskell Frauenwelten beschreibt, erlaubt es diesmal wesentlich mehr Sprecherinnen als sonst in Erscheinung zu treten und miteinander zu interagieren - und das tun sie auch mit Leidenschaft, tauchen gut in ihren jeweiligen Charakter ein: mal knurrig und herrisch, auf der anderen Seite aber trotz aller Zartheit auch selbstbewusst - gerade die Rolle der Hester glänzt darin.
Man fühlt sich gut in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurückversetzt, als Bigotterie und Klassendünkel noch sehr stark ausgeprägt waren und auch Frauen deutlich unterschätzt wurden. Vielleicht bricht die Heldin nicht aus ihrer Rolle aus, aber sie macht das Beste aus ihr und zeigt, dass auch viktorianische Dienstmädchen sehr aktiv sein können - gut vertreten von ihrer Sprecherin.
Musik und Geräusch-Effekte tun ihr Übriges, um das von Anfang bis Ende spannende Hörspiel abzurunden.
„Wenn das alte Kindermädchen erzählt“ mag vielleicht auf den ersten Blick nicht so unheimlich sein wie andere Hörspiele der „Gruselkabinett“-Reihe, ist aber dennoch ein Highlight in dem alles stimmt: Sprecher, Ambiente und ein Grauen, das den Zuhörer gleich auf mehren Ebenen erschauern lässt.