Jing Bartz und Shi Zhanjun (Hrsg.): Quantenträume (Buch)

Jing Bartz und Shi Zhanjun (Hrsg.)
Quantenträume
Übersetzung: Karin Betz, Johannes Fiederling, Marc Hermann, Michael Kahn-Ackermann und Eva Lüdi Kong
Heyne, 2020, Paperback, 512 Seiten, 15,99 EUR, ISBN 978-3-453-31904-2 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

Die von Dr. Jing Bartz und Shi Zanjun, dem Herausgeber der chinesischen Zeitschrift „Volksliteratur”, zusammengestellte Original-Anthologie versammelt 15 Erzählungen zum Thema Künstliche Intelligenz und enthält, zur Wohltat des Lesers, nur „moderne” und meist sehr naturwissenschaftliche Geschichten von oft hohem Unterhaltungswert.

Im Gegensatz zu der ebenfalls mit chinesischen Autoren bestückten Sammlung „Zerbrochene Sterne“, die viele eher am magischen Realismus orientierte oder kryptisch-märchenhafte Texte enthält, gilt dies für die vorliegende Story-Sammlung zum Glück nicht, da hier zeitgenössische naturwissenschaftlich orientierte Kurzgeschichten versammelt sind.

Und, mit Ausnahme einer Geschichte von Quifan Chen, sind die Erzählungen alle lesenswert, manche sogar überragend (Luo Longxiang und Liu Weijia), viele andere (Xia Jia, Liu Yang, Shuang Chimu, Gu Shi, Wang Jinkang, Hao Jingfang, Baoshu, A Que und Han Song) sind gut bis sehr gut. Nur drei sind etwas schwächer (Fei Dao, Sun Wanglu, Ling Chen) aber immer noch lesenswert, nur Quifan Chens dröge Erzählung trübt etwas den hervorragenden Gesamteindruck.


So erzählt die erste Story von Xia Jia (und leider ist sie nur der Ausschnitt eines Episodenromans und macht Lust auf das ganze Buch) von elektronischen Spielzeugen, die in einer Frachtkiste eine eigene Sprache entwickeln. Während diese Episode jedoch nur angerissen wird, konzentriert sich die Autorin im weiteren Verlauf auf die Beschreibung einer neuen und sehr verblüffenden Erkrankung, die den Betroffenen die Fähigkeit nach und nach nimmt, Sprache zu verstehen und zu sprechen. Deswegen müssen andere Wege der Kommunikation gefunden werden...

Und während Liu Yang in einer tollen Story den Verdacht nährt, ein weiblicher Haushaltsroboter sei nicht nur eine perfide Mörderin, sondern mache aus den Leichen sogar noch Essen, erzählt Fei Dao kurz und einigermaßen unterhaltsam von einem Geschichten erzählenden und sogar erfindenden Roboter.

Während Sun Wanglu den Leser auf eine intellektuelle Probe stellt mit der Frage, wie ein umgekehrter Touring-Test (kann eine KI im Chat ihre Künstlichkeit verbergen und wird für einen Menschen gehalten? Oder ist dies etwa gar keine Umkehrung?) auszusehen habe und dabei nicht ganz so spannend erzählt, berichtet Luo Longxiang augenzwinkernd, sehr schalkhaft und vor allem clever von den „Abenteuern” einer Gruppe von Nutzrobotern, die in Abwesenheit von Menschen ein abgelegenes Hotel auf dem Uranus so sehr aufmöbeln, dass es den Erdenmenschen nach ihrer Wiederkehr heftig das Lachen verschlägt. Zweifellos ein Highlight dieser Anthologie.

Und während Shuang Chimus Geschichte vor Ideen übersprudelt und es damit dem Leser gar nicht so einfach macht (aber seine moderne Version einer chinesischen Geister-Geschichte ist trotzdem stark erzählt und, wenn man sie versteht, genial erdacht), erzählt Quifan Chen dermaßen trocken, ohne Witz und anfangs leider auch ohne roten Faden, dass man als Leser schnell die Lust verliert, sich weiter zu quälen. Zwar gibt es irgendwann sogar eine Protagonistin und es wird auch noch ein laues Handlungsgerüst entworfen, aber leider reicht dies nicht aus und man muss konstatieren, dass „Cloud-Liebe” der eine große Flop dieser ansonsten wunderbaren Anthologie ist.

Danach geht es wieder steil bergauf. Während Gu Shi geniale Ideen dazu hat, was Bewusstseinstransfer für die Pflege bedeutet (wer hätte daran gedacht, dass dann Menschen mit körperlichen Einschränkungen sich selbst vermittels eines Ersatzkörpers pflegen könnten; eine wahrlich herausragende Idee!) und überhaupt für Betroffene, erzählt Liu Weijia eine grandios melancholische Geschichte von einem hilfsbereiten Roboter, der an der Aggression und Fehlerhaftigkeit der menschlichen Natur herzzerreißend scheitert. Ein weiterer Höhepunkt der vorliegenden Sammlung, trotz einiger Klischees.

Ebenfalls gut sind die beiden folgenden Kurzgeschichten: Während Wang Jinkang auch den Transfer eines menschlichen Bewusstseins in einen künstlichen Körper thematisiert (wobei die Vermeidung von Abstoßung durch Schockreaktionen beim unwissenden „Unfallopfer” hier das Thema ist), erzählt Hao Jingfang von den Tücken eines digitalen Doppelgänger-Programms und dessen Grenzen, die sogar der Entwickler am eigenen Leib erfahren muss.

Ebenfalls sehr stark ist Baoshus Story vom Untergang fast allen Lebens im Sonnensystem, dem aber eine ehemals menschliche Entität doch schlussendlich trotzen kann.

Auch A Ques wunderbare Kriminal-Kurzgeschichte, in der ein Ermittler im letzten Moment verhindern kann, dass Roboter als Mörder in Verruf geraten, ist sehr gelungen und hat einen cleveren Plot.

Zum Abschluss erzählt Long Chen in einer eher mäßigen (aber gut lesbaren) Erzählung von einem bedrohlichen Computerspiel mit vielleicht prognostischen Fähigkeiten, welches einen geheimnisvollen Schöpfer aufzuweisen hat, und Han Song beschließt die Anthologie mit einer amüsanten Geschichte von erleuchteten Robotern, die religiös geworden sind oder ihr Leben im Kloster fristen und predigen und die Menschen mit ihrem Glauben zu bekehren versuchen, was durchaus von Erfolg gekrönt scheint (!).


„Quantenträume“ ist eine insgesamt sehr starke Anthologie, voller ideenreicher, unterhaltsamer, emotionalisierender und spannender Geschichten, deren Kauf unbedingt empfehlenswert ist. Sieht man von einer Story ab, sind alle anderen lesbar, clever und manchmal auch wirklich überragend. Wer gute, ideenreiche und phantasievolle SF lesen will, sollte hier unbedingt zugreifen!