Bianka Minte-König: Estelle – Dein Blut so rot – Die dunkle Chronik der Vanderborgs 1 (Buch)

Bianka Minte-König
Estelle – Dein Blut so rot
Die dunkle Chronik der Vanderborgs 1
Titelgestaltung von ZERO Werbeagentur unter Verwendung eines Fotos von Sylwia Makris
Autorenfoto von Ramakers
Otherworld, 2010, Paperback mit Klappenborschur, 423 Seiten, 16,95 EUR, ISBN 978-3-8000-9524

Irene Salzmann

Die schöne Eleonore möchte ihren Liebsten heiraten, doch der Graf von Przytulek fordert sein Recht auf die erste Nacht ein, die in einem Blutbad endet. Noch im Sterben verflucht Eleonore das Fürstengeschlecht und kehrt als Vampirin zurück, um auch die Nachkommen ihres Peinigers zu töten. Über Generationen ist sie selbst ein Flüchtling und erlebt die Schrecken des Dreißigjährigen Krieges, der Französischen Revolution und viele andere Ereignisse mit.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts fährt während eines missglückten Experiments Eleonores Geist in den Körper der jungen Estelle Vanderborg. Das Mädchen ist tot, aber ihr Körper lebt durch Eleonore weiter, die dem erschrockenen Vater und den Brüdern Friedrich und Hansmann weismacht, sie leide seither an Gedächtnisschwund und diversen Gesundheitsproblemen, denn natürlich besitzt sie nicht alle Erinnerungen von Estelle, und Eleonores Vampir-Natur lässt sich nicht unterdrücken. Eleonore verliebt sich in Friedrich, der ihre Gefühle erwidert, aber Estelles Gewissen will Distanz wahren und meldet sich auch, wenn Eleonore Blut trinken und dafür jemanden töten muss. Da schließlich auch Friedrich begreift, dass es für sie keine gemeinsame Zukunft gibt, stellt er ihr einen Freund vor, Leutnant Amadeus Treuburg-Sassen, der sogleich in Liebe zu Eleonore entbrennt. Auch sie fühlt sich zu ihm hingezogen, aber der Vater hat sie, um dem finanziellen Ruin zu entgehen, dem sehr viel älteren Bankier und Lebemann Karolus Utz versprochen. Notgedrungen wird Eleonore die Gemahlin eines Mannes, den sie nicht liebt und der sie mit seinen Affären brüskiert, so dass sie Trost in Amadeus‘ Armen sucht. Aber dieses Glück ist brüchig, denn sie werden entdeckt. Dann bricht der Erste Weltkrieg aus, und Amadeus muss an die Front. Eleonore schenkt einer Tochter das Leben, stets von Zweifeln geplagt, ob Amanda ein Kind der Liebe oder das Produkt der Vergewaltigung durch Karolus ist. Obendrein ist ein Journalist Eleonores größtem Geheimnis auf der Spur, und auch davon erfährt Karolus, der mit einer weiteren bösen Überraschung aufwartet...

Bislang kannte man Bianka Minte-König als Autorin von Kinder- und Jugendbüchern. Vor allem die Reihen, die unter dem Titel „Freche Mädchen – freche Bücher“ erschienen sind, erlangten große Popularität; einige Bände wurden sogar als Manga umgesetzt. „Die dunkle Chronik der Vanderborgs“, eine auf drei Bände angelegte Vampir-Saga, ist der erste Ausflug der Autorin ins Erwachsenen-Genre. „Estelle – Dein Blut so rot“ liefert den Auftakt; „Amanda – Mein Herz so schwer“ und „Louisa – Deine Seele so wild“ sollen folgen.

Hat man bereits einige moderne Vampir-Romane gelesen, die ein neues Sub-Genre, die Romantic Mystery, begründeten, wird man feststellen, dass „Die dunkle Chronik der Vanderborgs“ weder so recht in den Reigen der Jugend-/All Age-Bücher wie Stephenie Meyers „Twilight“ oder P. C. & Kristin Casts „House of Night“ passt noch zu den Serien, die ein reiferes Publikum ansprechen und erotische Momente explizit wiedergeben wie Lara Adrians „Midnight Brood“ und J. R. Wards „Black Dagger“. Obwohl es ein Versuch zu sein scheint, an die Tradition der Gothic Novel – auch Bram Stokers „Dracula“ wird erwähnt – anzuknüpfen, fühlt man sich an Gesellschaftsromane wie Thomas Manns „Buddenbrooks“ und Theodor Fontanes „Effi Briest“ erinnert. Das liegt zweifellos daran, dass die Autorin ihre Handlung in ein datenfestes historisches Gerüst einbettet und die Hauptfigur Eleonore die Geschehnisse aus ihrer Sicht, einschließlich mehrerer Rückblenden, erzählen lässt. Die Schilderungen der Lebensumstände um die Jahrhundertwende sind sehr ausführlich – zahlreiche prominente Personen dieser Ära haben eine Szene oder werden namentlich erwähnt – und nehmen mehr Raum ein als die vampirischen Umtriebe der Protagonistin und ihre Romanzen. Tatsächlich ist der Roman mehr ein Sittengemälde als ein spannender Horror-Schmöker.

Natürlich erlebt Eleonore Momente des Glücks und Tragödien, die Situation eskaliert immer wieder durch unschöne Entwicklungen, doch durch den schwerfälligen, monotonen Erzähl-Stil, die deutlichen Ankündigungen, dass das Unheil naht, was der Leser auch ohne diesen Hinweis vorherzusehen vermocht hätte, und das Wissen, dass die Protagonistin ihre Aufzeichnungen nicht hätte vollenden können, wäre sie getötet worden, will sich die Spannung nicht einstellen. Trotzdem liest man das Buch mit Interesse, zum einen weil es wirklich ‚anders‘ ist als die Masse der aktuellen Titel, zum anderen weil der geschichtliche Hintergrund und die damalige Rolle der Frau sehr gut recherchiert wurden, die Charaktere Kinder ihrer Zeit sind und die Summe daraus dem Roman zu atmosphärischer Dichte verhilft.

Der erste Band der „Vanderborg“-Trilogie liest sich interessant, aber etwas zäh. Man vermisst die Leichtigkeit, die die Jugendbücher der Autorin auszeichnen beziehungsweise den Spannungsbogen, der für Horror-Romane charakteristisch ist. Stattdessen wird man von einem Sittengemälde überrascht, das hauptsächlich von der Zeit des Fin de siècle bis zum Ende des Ersten Weltkriegs reicht. Es empfiehlt sich, erst nach einer Leseprobe aus „Estella – Dein Blut so rot“ für oder gegen den Kauf zu entscheiden, denn das Buch fällt wahrlich aus dem Rahmen, da es mehr auf Geschichte als auf Romantik und Spannung setzt.