Simon R. Green: Die dunkle Seite der Nacht – Geschichten aus der Nightside 1 (Buch)

Simon R. Green
Die dunkle Seite der Nacht
Geschichten aus der Nightside 1
(Something from the Nightside)
Aus dem Englischen übersetzt von Oliver Hofmann
Titelillustration von Oliver Graute
Feder & Schwert, 2006, Taschenbuch, 202 Seiten, 10,95 EUR, ISBN 978-3-937255-94-1

Carsten Kuhr

Es gibt eine Ecke von London, die selbst die erfahrensten Nachtschwärmer, die durchtriebensten Betrüger, die fähigsten Diebe und die verrücktesten Serienkiller nicht kennen. Eine Ecke, die ein ganzes Viertel umfasst, ein Areal, das sich nur abseits der üblichen Wege erreichen lässt, ein Gebiet, von dem allenfalls hinter vorgehaltener Hand und im Flüsterton geraunt wird – Nightside, ein Mythos, ein Ort an dem es immer 3 Uhr morgens ist, ein Gebiet, in dem sich Menschen und Wesen aus allen Zeiten und Dimensionen treffen. Noch etwas sollten Sie wissen: Monster gibt es überall, das lernt man in Nightside als erstes. (S. 111)

Gestatten, dass ich mich vorstelle – John Taylor ist der Name, von Beruf Privatdetektiv, der in einer zugegeben heruntergekommenen Ecke von London sein eher karges Dasein fristet. Ja ich weiß, jetzt haben Sie den Reiz des Spade’schen Detektivs mit Whiskey-Flasche im Schreibtisch und der betörenden Blondine als Auftraggeberin, die ihrem untreuen Gatten nachstellen will, oder herausfinden will, wer ihren Hund den Pelz geschoren hat im Kopf. Doch das ist Hollywood, zumal ich mich mit derlei Aufträgen nicht abgebe. Mit meiner Gabe, dem dritten Auge, finde ich Sachen – auch wenn sie gar nicht gefunden werden wollen. Ich bin in Nightside aufgewachsen – ja, jetzt schauen Sie ungläubig, aber das gibt es. Und ich habe überlebt. Ich habe nie eine Waffe getragen – ich brauche keine (S. 190). Stattdessen habe ich etwas, was viel schwerer zu erreichen und noch schwieriger aufrechtzuhalten ist – ich habe einen Ruf! Vor fünf Jahren habe ich mich aus Nightside zurückgezogen – endgültig. Als dann aber eine besorgte Mutter auf der Suche nach ihrer vermissten Tochter in mein Büro stöckelte, geriet mein Entschluss nie wieder zurückzukehren ins Schwanken. Und kaum zurückgekehrt hole mich nicht nur die Vergangenheit in Form alter Feinde ein, sondern ich traf auch gleich auf ganz skurrile neue Fans von mir, die mich zum fressen gern haben ...

Simon R. Green fiel mir zunächst durch seine beiden „Shaman Bond“-Romane (dt. Bastei-Lübbe) auf. Hier zog er nicht nur gekonnt und mit viel Humor „007“- und Superheldenfilme durch den Kakao, er überraschte auch durch einen selten gelesenen Ideenwitz und einer abgedrehten Handlung, die Langeweile zum Fremdwort werden ließ. Seine etwas andere „Todtsteltze“- Reihe habe ich leider nicht gelesen, die antiquarisch hohen Preise lassen aber vermuten, dass die Fans auch hier begeistert dem Autor in die Weiten der Galaxis folgen. Dann stieß ich aber doch noch auf andere, lieferbare Titel – eine ganze Reihe von Bänden aus der Nightside erschien im Verlag Feder & Schwert. Kaum geordert, machte ich mich sofort an die Lektüre.

Zunächst erinnert der Aufzug ein wenig an klassische Detektivgeschichten. Der ein wenig heruntergekommene Ermittler mit dem Herz auf dem rechten Fleck wird von einer betörenden Upper-Class-Frau verpflichtet, ihre Tochter zu suchen. Das ließ Reminiszenzen an Jack Spade und Co. aufkommen, ich konnte regelrecht den Malteser Falken auf dem Schreibtisch stehen sehen. Dann aber macht sich unser Privat Eye in seine alte Heimat auf, und das Thema Erinnerungen ist abgehakt. Vorhang stattdessen auf für Begegnungen der besonderen Art. Skurrile Gestalten, Unikate allesamt, dazu eine Welt, die gleichzeitig verstörend anders und unheimlich faszinierend wirkt, und ein lakonisch sarkastischer Erzähler – das erwies sich als wahrer Pageturner.

So manches erinnert ein wenig an Shaman Bond, dann aber wieder geht der Plot andere, eigene Wege. Natürlich wuchert Green erneut mit seiner Fähigkeit, besondere Figuren und Orte zu kreieren. Sei es Messer Jack, ein unsterblicher Mörder, oder die Söldnerin Suzie Shooter, die Gestalten erinnern an Figuren aus den „Bond“-Romanen, dazu gesellen sich aber noch andere Handelnde, neue Plätze und verrufene Winkel. Geheimnisse die in den nächsten Bänden – bislang sind acht Romane bei Feder & Schwert erschienen – thematisiert werden, fügen sich mit dem spannenden Plot zu einem faszinierenden Ganzen, das die Zeit der Lektüre wie im Flug vergehen lässt.

Zu erwähnen ist noch die ungewöhnliche, aber kongenial zum Inhalt passende äußere wie auch innere Gestaltung der Titel und die vorzügliche Übersetzung.