Cixin Liu: Kugelblitz (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 16. Mai 2020 09:44
Cixin Liu
Kugelblitz
(Qiuzhuang shandian, 2000/2004)
Übersetzung: Marc Hermann
Titelbild: Stephan Martinière
Heyne, 2020, Paperback, 538 Seiten, 14,99 EUR, ISBN 978-3-453-32030-7 (auch als eBook erhältlich)
Rezension von Gunther Barnewald
Lius halbwegs voluminöser (mit 520 Seiten aber längst nicht so dick wie die drei Bücher der „Trisolaris“-Trilogie) Roman stammt ursprünglich aus dem Jahr 2000, wurde jedoch 2004 nochmals vom Autor überarbeitet.
Dieses „Frühwerk“ des Chinesen lässt sich natürlich auf keinen Fall mit seiner meisterhaften Trilogie vergleichen, ist deutlich schwächer ausgefallen, unterhält aber doch recht gut und verliert nur im letzten Drittel leider etwas an Schwung (man kommt als Leser aber recht mühelos zum Ende durch).
Neben den etwas hölzernen Charakteren (der Protagonist entbehrt sogar eines Vornamens, heißt immer nur „Doktor Chen“ und wird sogar von nahestehenden Kollegen immer nur so angesprochen, was leider für sich beziehungsweise gegen eine glaubhafte Charakterisierung spricht) stört vor allem die immer freier schwebende Handlung gegen Ende und die nur angedeuteten moralischen Reflexionen und Informationen.
So wird China von einem Feind angegriffen, keiner weiß aber so recht, wer warum angreift. Nur am Namen der „feindlichen“ Flugzeugträger (einer heißt „Ronald Reagan“!) wird dann dem Leser klar, wer der Aggressor zu sein scheint. Noch viel skurriler wirkt der terroristische Überfall einer „hochintelligenten“, superwissenschaftlich fortschrittlichen Terrorgruppe von „Wissenschaftshassern“ (auch dies spricht leider für sich). Diese „Aluhut-Träger“ sind die absolut unglaubwürdige Krönung einer Handlung, die immer mehr jeder Logik entbehrt gegen Ende der Geschichte.
Dazwischen gelingen Liu aber wunderbare Schilderungen von russischer Lebenswirklichkeit (der Besuch einer heruntergekommenen Wissenschaftlerstadt in der russischen Pampa am Ende der zivilisierten Welt mit ihren Mega-Plattenbauten und Wodka-Säufern), dramatischen Kugelblitz-Experimenten und waghalsigen Helikopterflügen, die manchmal in ihrer Intensität tatsächlich an den vom Autor hier erwähnten Hollywood-Action-Blockbuster „Twister“ erinnern, sind eindeutig die starken Seiten des Romans, der versucht, den Lebensweg eines jungen Forschers zu verfolgen, dessen Eltern an seinem 14. Geburtstag von einem Kugelblitz getötet werden.
Nachdem sich der vornamenlose Chen an die Spitze der Forschung gearbeitet hat, wird er dann jedoch Zeuge, wie seine Erfindung als Waffe verwendet wird, und bekommt nachvollziehbare Skrupel. Er steigt aus der Forschung aus, bekommt weiteres dann nur noch (retrospektiv) von einem genialen Wissenschaftlerkollegen erzählt (ab hier flaut dann auch die Spannung merklich ab).
Es spricht für Liu, dass er seinen Protagonisten diesen Weg gehen lässt, denn dem Willen des chinesischen Militärs zuwider zu handeln, ist sicherlich schon in der Schilderung als Autor sehr mutig (ob man einen wichtigen Forscher überhaupt abwandern lassen würde, erscheint mir fraglich).
So muss der Leser hier vielleicht (wie früher bei sowjetischer oder osteuropäischer SF) mit der einen oder anderen „verklausulierten“ Äußerung oder Wendung der Handlung vorliebnehmen (weshalb wohl auch der Kriegsangreifer nicht so deutlich benannt wird, eventuell auch weil die Bevölkerung gar nicht so offen informiert wird, wie dies in Demokratien der Fall sein sollte).
Dem Autor gelingt aber ein durchgängiger Spannungsbogen für seine Erzählung (gegen Ende etwas abfallend wie schon festgestellt).
Legt man also keine zu hohen Maßstäbe an (die von Lius bisherigem Meisterwerk nämlich), dann ist das vorliegende Buch durchaus gute und auch ideenreiche Hard SF, die wissenschaftliches Denken, Handeln und Forschen packend und interessant darstellt, und die in einigen von Isaac Asimovs mäßigeren Werken durchaus ein starkes Pendant findet. Wer wissenschaftlich-technische SF im Stile Asimovs oder Arthur C. Clarkes mag, dem wird auch dieses Buch zusagen. Ein Meilenstein ist es definitiv nicht, aber doch recht unterhaltsam und vor allem über weite Strecken kurzweilig.