Nicholas Eames: Die schwarze Schar (Buch)

Nicholas Eames
Die schwarze Schar
(Bloody Rose, 2018)
Übersetzung: Michael Siefener
Titelbild: Richard Anderson
Heyne, 2020, Paperback, 632 Seiten, 16,99 EUR, ISBN 978-3-453-32089-5 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Letztes Jahr überraschte ein bis dato unbekannter kanadischer Autor mit einem Gritty-Fantasy-Roman, der eine gealterte Heldentruppe ins Zentrum stellte. In „Könige der Finsternis“ stellte uns der Verfasser nicht nur seine in die Tage gekommenen Helden vor, sondern auch eine Welt in der es martialisch zugeht.

Nun gibt es eine Fortsetzung - nur ist dies keine wirkliche Fortsetzung. Statt den ehrbar und altersweise (?) gewordenen Helden steht eine jüngere Heldentruppe im Zentrum des Geschehens. Und was beim Debüt noch schmerzlich vermisst wurde, nämlich weibliche Figuren, nimmt dieses Mal im Zentrum des Geschehens platz.

 

Erneut hat Heyne dem Buch nicht wirklich viel Aufmerksamkeit geschenkt. Der Illustrator des aus der britischen Ausgabe erneut übernommenen Covers wird uns verschwiegen, keine Klappenbroschur, lediglich ein geprägter Titel und die versierte Übersetzung Michael Siefeners zeichnen den Roman auf den ersten Blick aus.

Schaut man sich den Text aber genauer an so wird man feststellen, dass inhaltlich eine Tour de Force auf den Leser wartet, die dessen Herz mächtig beansprucht.


Tam Hashford, Tochter Tucks, eines der legendären Helden des Herzwylds, lebt in einem kleinen, friedlichen Kaff im Nirgendwo. In der Dorfschenke bedient sie allabendlich die Gäste, darunter natürlich auch die Truppen, die sich in den Arenen zur Be- und Verlustierung der Zuschauer mit Bestien anlegen - soll heißen, diese möglichst spektakulär abschlachten. Was würde sie dafür geben, eines Tages mit einer dieser Truppe auszuziehen und Ruhm zu ernten.

Dann, eines Tages, bekommt sie ihre Gelegenheit - die Fabel, eine der berühmtesten Truppen, macht Station im Ort und bietet Tam an als ihre Bardin mitzukommen. Angeführt von einer Frau, die ihre Angst mittels Drogen verdrängt, begleitet von einem Schamanen und Gestaltwandler, der seine Seele noch nicht gefunden hat, in Begleitung eines unsterblichen Satyrs und einer Hexe, die ihre Dämonen in die Haut tätowiert hat nehmen sie einen Auftrag an, den andere, fähigere Gruppen abgelehnt haben - sie machen sich auf die Jagd nach dem Simurg, dem legendären Drachenfresser, einem Mythos, der unerwartet gefährliche Realität wird.

Doch hier hört das Abenteuer noch lange nicht auf, stoßen sie doch auf die aus dem Grab auferstandene Winterkönigin - und diese sucht nach Rache für ihren, im letzten Band von der Truppe getöteten Sohn. Als Nekromantin hat sie die Mittel, alles Leben auf Erden auszulöschen - und genau dies plant sie auch. Dass sich ihr die Fabel entgegenstellt, nimmt sie nicht ernst - bis es zur letzten, alles entscheidenden Schlacht kommt.


Hoppla, was ist das für ein Buch, das uns der Waschzettel erneut so falsch wie nur irgendwie als „GRRM meets Terry Pratchett“ anpreist?

Es ist die Geschichte einer jungen Frau in einer archaischen Welt. Eine Frau, die sich zu Frauen hingezogen fühlt, die einer Frau in den Kampf, in die Schlacht und darüber hinaus folgt. Eine Geschichte aber auch, in der es verklausuliert um Selbstbestimmung, die Lösung vom Elternhaus, um die Verantwortung des Individuums für das Gemeinwohl, um Diskriminierung und Freiheit geht. Das ist, gerade für einen Fantasy-Roman, fürwahr harter Tobak. Verpackt hat der Autor diese Themen in jeder Menge blutiger Kämpfe, unerwarteter Wendungen und packenden Jagden.

Der Leser wird lange Zeit auf eine falsche Fährte gelockt. Zunächst scheint es nur um einen lukrativen Auftrag zu gehen - der allen, die sich bislang daran versuchten, den Tod einbrachte. Dann öffnen sich immer mehr Wege, erhalten wir Einblick in die Völker und ihre Lebensweisen, in andere Dimensionen und Schicksale.

Immer mehr entwickelt sich unsere Protagonistin von dem naiven, gutgläubigen Mädchen zu einer Persönlichkeit, die nicht nur zu sich und ihren Freunden steht, sondern die sich auch mit moralischen Fragen auseinandersetzt. Dieser Vorgang prägt fast den ganzen Roman, verleiht diesem Tiefe und ein Gerüst, auf dem die Action wunderbar aufsetzt.

Von Letzterer gibt es wahrlich genug. Sympathieträger fallen im Kampf, es gibt jede Menge Leid, Trauer und Schmerzen und doch stellen sich unsere Erzähler ihrer Verantwortung für die Welt.

Das erinnert weit mehr an David Gemmell oder Joe Abercrombie und kann auch ohne Kenntnis des ersten Bandes solo verschlungen werden.