Wonder Woman: Erde Eins 2

Wonder Woman: Erde Eins 2
(Wonder Woman: Earth One, Vol. 2, 2018)
Autor: Grant Morrison
Zeichnungen: Yanick Paquette
Übersetzung: Ralph Kruhm
Panini, 2019, Paperback, 140 Seiten, 16,99 EUR, ISBN 978-3-7416-1496-5

Rezension von Irene Salzmann

Diana alias Wonder Woman hat ihre Heimat und damit auch ihre relative Unsterblichkeit aufgegeben, um als Botschafterin der Amazonen zu fungieren und den oft unterdrückten Frauen ein Leitbild zu sein, damit die aggressive Vorherrschaft der Männer endet zu Gunsten eines gleichberechtigten Miteinanders im Zeichen von Verständnis, Toleranz und Liebe. Tatsächlich wird sie für viele Geschlechtsgenossinnen zu einer Ikone, der diese nacheifern wollen. Hingegen sehen Männer, insbesondere Politiker und Militärs, Wonder Woman als eine Bedrohung, die, wenn sie nicht zu kooperieren und die technologischen Geheimnisse ihres Volkes ausliefern bereit ist, eliminiert werden soll.

Eine Mission führt die Amazone nach Nahost (Afghanistan?), wo sie den ihr schon bald sehr sympathischen Dr. Leon Zeiko alias Doctor Psycho (psycho, gesprochen in Engl.: ßeiko) vor seiner Hinrichtung bewahrt und zusammen mit anderen Gefangenen befreit. Zurück in den USA begegnet sie einander erneut, und es gelingt Zeiko durch seine Psychotricks, in Wonder Woman Misstrauen gegenüber ihren Freunden und Verbündeten zu säen - und das perfiderweise, indem er unter dem Einfluss des ‚Lassos der Wahrheit‘ die Pläne ihrer Widersacher preisgibt, die man an ihn herangetragen hatte. Im Glauben, Zeiko sei der Einzige, dem sie noch vertrauen kann, gestattet sie dem Manipulator, ihr das Lasso anzulegen, um zu beweisen, dass die Anschuldigungen, sie wäre eine Bedrohung, falsch sind. Dadurch gerät sie vollständig unter Zeikos Bann.

Unterdessen geschehen auf der Paradiesinsel schlimme Dinge. Die Überfrau Paula von Gunther, die sich vorgeblich von den Nazis losgesagt hat, mittlerweile von Maxwell Lord benutzt wird und außerdem einen persönlichen Grund für ihr Handeln hat, ermordet Königin Hippolyta und kehrt in die Welt der Menschen zurück, um Wonder Woman zu suchen.


Ein Comic beginnt - wieder mal - mit einem Ausflug in die Nazi-Vergangenheit, als ob den Autoren (in den USA und anderswo) nichts anderes einfällt, als Deutschland regelmäßig auf die zwölf dunkelsten Jahre seiner Geschichte zu reduzieren und alte Feindbilder zu beschwören, die nach 1945 längst durch andere ersetzt wurden.

Die Zensur, die bei verbotenen Symbolen greift, hat aus dem Hakenkreuz das Schwarze Kreuz gemacht, das laut Wikipedia „ein Hoheitszeichen [ist], das von den preußischen und den deutschen Streitkräften genutzt wurde und beim Deutschen Orden als Ordenskreuz genutzt wird. Die Bundeswehr verwendet es als stilisiertes Tatzenkreuz auch heute.“ (Wikipedia).

Nachdem Paula gefangengenommen wurde und die Chance erhielt, ihrer bisherigen politischen Überzeugung sowie dem Hass zu entsagen und ein besserer Mensch zu werden, springt die Handlung in die Gegenwart und knüpft an die Ereignisse des vorherigen Bandes an. Dabei bemüht Grant Morrison aktuelle Strömungen wie den Feminismus und die davon ausgehende Ablehnung der (alten weißen) Männer, LGBTQI, Umweltschutz, Friedensbewegung und so weiter, wobei die Frauen und ihr notwendiges Wirken bestätigt werden durch die entsprechenden Szenarien, in denen die (meisten) Männer die negativen Klischees bestätigen, indem sie Wonder Woman (und alle Frauen) belügen, betrügen, manipulieren, benutzen, auf sie herabsehen und sie beherrschen wollen. Ausnahmen wie Steve Trevor fallen kaum ins Gewicht.

Nur vorgeblich verkörpert Paula die bösen (weißen) Frauen. Zunächst ein Produkt der von Männern inszenierten Nazi-Propaganda wandelt sie sich vom Saulus zum Paulus, wird aber wieder zum Spielball eines Mannes und mehr noch von ihrer Liebe zu Wonder Woman angetrieben, die nach Paulas Wunsch nicht länger die Ewige Prinzessin sondern Königin der Amazonen sein sollte, mit der zusammen sie über die Welt und über die Männer herrschen möchte.

Das ist ganz schön harter Tobak, der vermutlich nicht jedem Leser gefallen wird, da der Autor gerade hinsichtlich des ‚Geschlechterkampfs‘ reichlich Schwarz-Weiß-Malerei betreibt und erst am Ende ein wenig relativiert sowie einem Teil der Rädelsführer die verdiente Strafe zukommen lässt. In Wonder Woman und Doctor Psycho summieren sich die jeweiligen Klischees der positiv besetzen Frauenbewegung und den negativ konnotierten ewig gestrigen Unterdrücker.

Ferner baut er pikante Anspielungen ein: Wonder Womans Schöpfer William Moulton Marston war an der Entwicklung des Lügendetektors beteiligt und schätzte Fesselspiele (laut dem Vorwort von Christian Endres), was beides durch das Lasso der Wahrheit zum Ausdruck gebracht wird, das hier so ähnlich wie der Biss des Vampirs (Dracula) eine erotische Komponente erhält, wenngleich der Band bei Andeutungen bleibt, was auch für die lesbischen Beziehungen der Amazonen auf ihrer Männer freien Insel gilt.

Wonder Womans Auftritt mit Burka (siehe auch den Anhang unter anderem mit Sketchen) soll ihr wie Mattels wandelbarer (Hijab-) Barbie Globalität verleihen, sie zu einer Heldin für alle Frauen machen, gleich welcher Nation, Religion oder Hautfarbe. Dieser Auftritt ist gewollt, aber überflüssig, da die Verkleidung keinen wirklichen Einfluss auf die Handlung hat. Ob das beim Publikum ankommt und nicht etwa von einzelnen Gruppen als Affront erachtet wird, etwa wegen der Verunglimpfung von (religiösen und staatlichen) Symbolen, bleibt abzuwarten, zumal der Eindruck entsteht, dass nicht alle Fälle mit derselben Behutsamkeit behandelt werden (zum Beispiel das Schwarze Kreuz).

Die Zeichnungen sind gefällig und mehr idealistisch als realistisch mit einem gewissen Comic-Touch durch die mitunter kräftige Tuschung. Erfreulicherweise ist das Team identisch mit dem von Band 1, so dass die Serie nicht unter einem optischen Wechsel zu leiden hat.

„Wonder Woman: Erde Eins“ Band 2 ist ein Comic mit viel Konflikt-Potential, der eigentlich genau das macht, was immer den Serien mit männlichen Helden vorgeworfen wird: einseitige Darstellungen, in denen das andere Geschlecht nicht gleichberechtigt und gleichwertig erscheint. Dass in „Wonder Woman“ bewusst auf die Problematik hingewiesen werden soll, liegt auf der Hand, doch geht der Autor einen Schritt zu weit. Man hat das Gefühl, dass er gezielt die Feministen und Feministinnen anspricht und die als Vertreter des Patriarchats über einen Kamm geschorenen Männer schlecht aussehen lässt.