C. L. Polk: Witchmark - Die Spur der Toten (Buch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Mittwoch, 26. Juni 2019 19:34
C. L. Polk
Witchmark - Die Spur der Toten
(Witchmark, 2018)
Übersetzung: Michelle Gyo
Hobbit Presse, 2019, Paperback, 382 Seiten, 16,00 EUR, ISBN 978-3-608-96395-3 (auch als eBook erhältlich)
Rezension von Irene Salzmann
Nach dem von Aeland gegen Laneer siegreich geführten Krieg arbeitet Dr. Miles Singer, selbst ein Veteran, in einem Krankenhaus, das sich um traumatisierte Soldaten kümmert, die nach all dem Töten nicht wissen, wie sie in ihr altes Leben zurückfinden sollen, denn in ihnen regt sich immer wieder der Drang, weiter zu morden, und das macht ihnen Angst.
Tatsächlich haben bereits einzelne Heimkehrer bei einem Amoklauf ihre Angehörigen umgebracht. Miles versucht, den Patienten nach besten Kräften zu helfen, aber er muss vorsichtig sein, damit man ihn, den geborenen Heiler, nicht als Hexe erkennt, denunziert und ihn in einem Sanatorium ein kümmerliches Dasein fristen lässt.
Als ein Notfall eingeliefert wird, kann Miles trotz seiner Bemühungen den Sterbenden nicht retten. Mit seinen letzten Worten teilt Nick Elliot ihm mit, dass man ihn vergiftet hat und etwas vorgeht, das die Soldaten wissen sollten. Auch er ist eine Hexe und überträgt seine Kraft auf Miles. Dieser befindet sich nun in Erklärungsnot, denn der Mann, der Nick in die Klinik gebracht hatte, war Zeuge des Vorfalls.
Allerdings hat Tristan Hunter nicht die Absicht, Miles unter Druck zu setzen. Er bittet ihn, ihm bei seinen Ermittlungen zu helfen und weiht den Arzt nach und nach ein, wer er ist und warum er sich in Aeland aufhält: Tristan ist ein Amaranthine, ein Wesen, das man nur noch aus Mädchen-Büchern kennt, da sich sein Volk vor langer Zeit zurückgezogen hat aus der Welt, um über die Seelen der Verstorbenen zu wachen. Seit geraumer Zeit gelangen jedoch keine Seelen mehr von Aeland zu ihnen, so dass Tristan beauftragt wurde, den Grund herauszufinden. Er und Miles glauben, dass Nick womöglich etwas darüber wusste.
Die Recherchen der beiden werden dadurch erschwert, dass Miles nach Jahren seine Schwester Grace auf einem Bankett wiedersieht und sie sich sofort in sein Leben einmischt. Als Sturmsängerin soll und will sie die Nachfolge ihres kranken Vaters, dem Kanzler, antreten, benötigt jedoch, um ihre Magie wirkungsvoll einzusetzen, einen Sekundär, vorzugsweise Miles, der jedoch nicht zur ‚lebenden Batterie‘ seiner Schwester werden, sondern als Heiler von Nutzen sein möchte und darum einst der Familie den Rücken kehrte. Prompt geschieht das, was Miles vermeiden wollte: Er wird an Grace gebunden und soll, ungeachtet seiner Wünsche, den politischen Plänen der Familie dienen.
Hinzu kommt, dass jemand Miles und Tristan beobachtet. Aber auf wessen Befehl? Steckt der Vater von Miles und Grace dahinter, Grace selbst oder ihr Konkurrent um die Führungsrolle bei den Sturmsängern? Erst verschwindet die Leiche von Nick und mit ihr jeglicher Nachweis, dass ein Verbrechen verübt wurde, dann werden Miles und Tristan von einem Unbekannten verfolgt, und Miles wird schließlich überfallen, wobei ihm wichtige Dokumente geraubt werden. Als wäre das noch nicht genug, bezichtigt ihn ein neidischer Kollege, eine Hexe zu sein, woraufhin er suspendiert wird.
Der Einzige, dem Miles noch zu trauen bereit und der immer für ihn da ist, ist Tristan. Doch hat eine Beziehung zwischen ihnen überhaupt eine Chance? Es heißt, die Amaranthine bezirzen die anderen Menschen und lassen diese, sobald sie ihrer überdrüssig werden, fallen, woraufhin die Abgewiesenen am Liebesleid zugrundegehen.
All das muss jedoch warten, denn Miles erkennt endlich die Zusammenhänge, und wenn es ihm nicht gelingt, die Sturmsänger von der Gefahr zu überzeugen, die Aeland wegen eines ungeheuerlichen Verbrechens droht, das die Machthaber begangen haben, sind sie alle verloren.
Aeland und zweifellos auch die anderen Reiche, die nur namentlich erwähnt werden, lassen sich am ehesten mit einem magischen viktorianischen England vergleichen. Die Menschen kennen viele Errungenschaften jener Zeit, die durch Gas, Dampf und ‚Aether‘ betrieben werden, darunter das Grammophon, das Radio und das Telefon. Als Fortbewegungsmittel dienen Kutschen, Fahrräder, die Bahn und erste Automobile.
Die Gesellschaft Aelands ist geteilt in die privilegierte Schicht der Adligen, die Magier vorbringt, welche für ein gemäßigtes Klima und damit den Wohlstand des Landes sorgen müssen. Ihnen zur Seite stehen die Sekundäre, die zwar nicht das Wetter beeinflussen können, aber über viel Macht verfügen, die von den Magiern angezapft wird. Dass sie selbst Gaben wie Heilkräfte haben, ist belanglos. Zwar gibt es immer mehr Menschen, die das anders sehen, aber die meisten von ihnen schweigen aus Angst, gesellschaftlich isoliert zu werden und schlimmer, oder sie halten sich als Betroffene bedeckt, weil sie als Hexen um ihre Existenz fürchten müssen. Bezüge zur Realität sind erkennbar.
Vor diesem Hintergrund lässt Chelsea L. Polk ihre Geschichte spielen. Man merkt dem Roman an, dass sie bisher Kurzgeschichten schrieb, denn sie kommt sehr schnell zum Wesentlichen, verliert sich nicht in langen Eingangserklärungen, wie diese Welt funktioniert, sondern lässt den Leser die Details Stück für Stück anhand der Geschehnisse und den Dialogen der Protagonisten herausfinden.
Das Buch beginnt daher mit einem wichtigen Ereignis, das zum Auslöser einer Recherche wird, die zwei aufrichtige und engagierte Männer zusammenbringt, die trotz der Gefahren für ihr Leben herausfinden wollen, was in Aeland hinter den Kulissen gespielt wird. Tristan verfügt über finanzielle Ressourcen und gewisse Gaben, Miles über die relevanten Kontakte, die er nutzt, nachdem er trotz seiner neuen Identität von seiner Familie gefunden wurde.
Während Miles und Tristan aufgrund des Umstands, dass man ihre Nachforschungen zu verhindern versucht, nun erst recht herausfinden wollen, wer ein Interesse daran haben kann, einen Journalisten zu ermorden, der offenbar die Situation der Hexen in den Sanatorien beleuchten wollte, was auch immer das mit den Soldaten oder dem Ausbleiben von Seelen zu tun haben mag. Sie wollen Gerechtigkeit für den Toten, Miles hofft zudem, dass er etwas erfährt, wodurch er seinen Patienten helfen kann, und Tristan benötigt einige Antworten, mit denen er in seine Heimat zurückkehren kann.
Die gemeinsamen Ziele bringen die beiden Männer einander näher. Zunächst will Miles, eingedenk der Warnungen in den Märchen, Distanz wahren, doch Tristan bleibt hartnäckig und erweist sich immer wieder als ehrlicher, treuer Gefährte. Als Miles schließlich seinen Gefühlen nachgeben will, wird er gegen seinen Willen an Grace gebunden und soll mit der Tochter eines einflussreichen Hauses vermählt werden, damit seine Schwester die notwendigen Stimmen erhält, um die Sturmsänger anführen zu können. Erneut ergreift Miles die Flucht, ist jedoch bereit, seine Freiheit und sogar sein Leben zu opfern, um eine Katastrophe zu verhindern.
In diese Handlung eingebettet ist die Geschichte von Miles und seiner Familie, die geprägt ist von der Einteilung in die wertvolle Sturmsängerin und den designierten Sekundär, der kein eigenes Leben führen darf. Zwar mochten sich Miles und Grace als Kinder, doch ihre Beziehung war und bleibt überschattet von der Familienpolitik. Grace verfolgt ihre Ziele, die sie an die Spitze der Macht bringen sollen, ist dafür zu Opfern wie eine Ehe ohne Liebe bereit, verlangt dies aber auch von Miles mit dem Versprechen, dass sie beide dies tun, um die Lage für Sekundäre beziehungsweise Hexen zu verbessern. Aber ist sie angesichts des Machtstrebens vertrauenswürdig?
Von daher wundert es nicht, dass Miles an Grace zweifelt und sich nicht auf sie einlassen möchte, erst recht nicht auf die Pläne des Vaters, als dieser eingreift und Zwang ausübt. Letztendlich hat er dennoch keine Wahl und muss ihr vertrauen, will er die Wahrheit ans Licht bringen. Das Wissen, das er Tristan und Grace teilen, lässt sie handeln, und damit eskaliert die Lage und sorgt für ein Ende, das so nicht vorhersehbar war und eine Fortsetzung, „Stormsong“, nach sich zieht.
Die Romanze von Miles und Tristan entwickelt sich seit der ersten Begegnung langsam weiter, bleibt lange ein Umtanzen, bis die beiden ein Paar werden. Zwanzig Jahre früher hätte die Autorin - damals befand sich Boys Love als populäres Genre im Bereich Manga/Anime auf dem Höhepunkt, und jedes Buch, das sich gleichgeschlechtlichen Paaren widmete, wurde von den Fans begeistert weiter empfohlen - sofort eine große Leserschaft gefunden. Nun ist der Hype ziemlich vorbei, das Genre hat sich etabliert, es ist nichts Besonderes mehr. Das Buch muss inhaltlich überzeugen.
Und das schafft es letztlich auch, denn man findet die Charaktere interessant und sympathisch, ihre Motivation ist überzeugend, die Aufklärung des Verbrechens spannend. Allein der Schlusspunkt wirkt etwas übertrieben, da er doch aus der Kiste von deus ex machina entnommen wurde. Es gab zwar zum Ende hin eine kleine Vorarbeit, damit die Entwicklung nicht total aus heiterem Himmel fällt, aber es ging einfach sehr schnell und gedrängt zu auf den letzten zehn Seiten.
Alles in allem macht die Lektüre Spaß, und man möchte gern wissen, wie es weitergeht. Mag man Steampunk, ein bisschen Boys Love, Magie und Crime, sollte man dem Titel eine Chance geben.