Bina Shah: Die Geschichte der schweigenden Frauen (Buch)

Bina Shah
Die Geschichte der schweigenden Frauen
(Before she Sleeps)
Übersetzung: Annette Charpentier
Golkonda, 2019, Hardcover, 332 Seiten, 22,00 EUR, ISBN 978-3-946503-94-1 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Eines Tages war es soweit: Lange war das Armageddon angekündigt worden, dann fielen sie, die Bomben in Arabien - und der nukleare Niederschlag sorgte für Tod und Vernichtung südlich und östlich der Krater. Seitdem hat sich die Welt, das Leben gewandelt. Mit dem nuklear ausgelösten Holocaust nahm die Sterblichkeit bei Frauen rapide zu. In den neu gegründeten Territorial-Bündnissen, die die Nationalstaaten ablösten, fehlt es an Frauen.

Südwestasien hat sich in Green City eine neue Metropole, ein Handels- und Regierungszentrum gebaut. Und man hat sich der Frauen-Knappheit gesetzlich angenommen. Die Mehrfach-Ehe ist gesetzliche Norm, eine jede gebärfähige Frau hat mindestens drei Ehemänner und dient dem allmächtigen Staat als menschliche Brutstätte für Nachwuchs. Angeleitet durch merkantile Belohnungen - für jedes Kind wird der Familienzuschlag verdoppelt - und vollgepumpt von gebärfördernden Drogen ist die Frau mit ihrem dicken Bauch ein Statussymbol; ihre Persönlichkeit, ihr Intellekt oder gar ihr Wille ist uninteressant.

Nicht alle Frauen aber fügen sich in das so hoch gepriesene Los. Sabine etwa, eine der Erzählerinnen des Buchs, flieht mit sechzehn Jahren von ihrem Vater, der sie an den Staat verkaufen will. Statt als willfähige Gebärmaschine zu funktionieren wie vorgesehen, sucht sie ein klein wenig Freiheit und Selbstbestimmung und schließt sich den Panah in einem unterirdischen Bunker an.

Da sie unter Schlafstörungen leidet ist sie die ideale Besetzung für das, was die Panah bei Androhung von existenziellen Strafen offerieren - sie schlafen mit Männern. Dabei ist aber kein Sex gemeint, sie bieten den mächtigen und damit reichen Männern etwas, was man im modernen Staat von seiner Familie nicht länger bekommt: Nähe, Wärme, Geborgenheit und Trost im Schlaf. Dabei werden sie von einem der Mächtigsten des Staates gedeckt - bis Sabine ihr Schicksal ereilt und sie in ein Krankenhaus eingeliefert wird.


Dystopie, so nennt man die Bücher, die sich auf immer ganz eigene Art und Weise mit einer nicht erfreulichen Zukunft beschäftigen. Die in Pakistan lebende Journalistin und Autorin Bina Shah schildert uns gleichsam aus der Innensicht ein totalitäres, autokratisches System, in dem Frauen auf ihre Reproduktions-Funktion reduziert werden und ihre Individualität und Freiheit verloren haben.

Das Recht über ihren Körper selbst zu bestimmen, ihre Zukunft, ihre Erfüllung zu suchen wurde ihnen kraft Gesetz genommen, sie wurden zu Zuchtvieh herabgewürdigt. Gefühle bleiben dabei auf der Strecke, sind auch nicht länger wichtig. Allein das Überleben der Spezies, der Gesellschaft ist das Ziel, dem sich fast alles unterordnet.

Allein, der Drang zu fühlen ist unabdingbarer Bestandteil des Menschseins, und so entwickelt sich ein Markt, in dem für viel Geld eben jene verloren gegangenen und verbotenen Gefühle gehandelt werden. Eine Frau, die nachts nur bei ihnen ist, sie im Arm hält oder die Hand streichelt ist ein begehrtes, weil rares Gut. Emotionen werden verkauft, statt wie früher das Körperliche in das Zentrum zu stellen.

Die beklemmend real geschilderte Welt ist in ihrer Gefühlsarmut, ja gesetzlich begründeten Gefühlslosigkeit erschreckend. Der Gedanke, „Was wäre wenn“ zieht den Leser in die Handlung hinein, die mit zunehmender Dauer auch Thriller-Züge aufweist.

Die emotionalen Wracks, die uns in den Seiten begegnen erwecken schlicht Angst vor solch einer Zukunft. Nachdem die Autorin uns ihre Welt vorgestellt hat, uns mit der geschilderten Entwicklung verstört und geschockt hat nimmt sie, bewusst oder ohne Absicht, das Tempo aus dem Plot heraus. Die Handlung zerfasert etwas, das Finale kommt recht abrupt.

So bietet sich das Buch als erschreckende Vision einer Zukunft an, wie wir sie nicht erleben möchten, lässt aber insbesondere im letzten Drittel ein wenig die Faszination und Stringenz vermissen.