Assassination Nation (BD)

Assassination Nation
USA 2018, Regie: Sam Levinson, mit Odessa Young, Hari Nef, Suki Waterhouse u.a.

Rezension von Elmar Huber

Ein anonymer Hacker macht das Städtchen Salem unsicher. Zuerst werden Bilder von Bürgermeister Bartlett geleakt, der es sich in Frauenkleidern besorgen lässt. Seine Form der Abdankung besteht darin, dass er sich auf offener Bühne erschießt. Danach ist der High-School-Direktor Turrell an der Reihe: Harmlose Fotos seiner minderjährigen Tochter werden in der kollektiv-puritanischen Empörungswelle, die die Stadt nun überschwemmt, zu einem Beweis, es mit einem Pädophilen zu tun zu haben.

Für die Freundinnen Lily (Odessa Young), Em (Abra), Sarah (Suki Waterhouse) und Transgender Bex (Hari Nef) ist das nur ein weiterer Sturm, wie er tagtäglich durch die digitalen sozialen Medien jagt. Bis auf einmal das Internet-Leben der halben Stadt öffentlich gemacht wird, auch Lilys online-Romanze mit dem verheirateten Nick Mathers, bei dem sie als Babysitterin jobbt. Von einem Moment zum anderen wird sie regelrecht zu Freiwild.

Eine Woche später herrscht Anarchie in Salem. Maskierte Bürgermilizen haben nur noch das Ziel, denjenigen zu finden, der für die Veröffentlichung ihrer Daten verantwortlich ist, koste es, was es wolle. Als Lily plötzlich beschuldigt wird, für die Hacks verantwortlich zu sein, beginnt für die Mädchen-Clique eine blutige Nacht des Terrors.


Mit den Bildern dieser Nacht beginnt auch der Film - und mit Lilys Off-Statement, dass es nicht sicher ist, ob sie diese Nacht überleben wird. Ein kraftvoller Opener, dessen Versprechen in den folgenden gut 100 Minuten mehr als erfüllt wird.

Was Sam Levinson mit „Assassination Nation“ abgeliefert hat, kann und sollte als eindringlicher und erschreckender Kommentar zur Lage der Generation Facebook gesehen werden, der vielleicht näher an der Realität ist, als man gerne glauben will. Der Schauplatz ist nicht zufällig gewählt, denn was hier stattfindet, ist nichts weniger als eine moderne Hexenjagd, deren Ziel die rigorose Auslöschung des vermeintlich Bösen ist, wobei die modernen Hexenjäger genug vor der eigenen Haustür zu kehren hätten.

Alles fängt eigentlich ganz harmlos an. Der Highschool-Alltag von Lily und ihren Freundinnen ist geprägt von pubertären Wirrungen, erster Liebe, Sex(ting), Outfits und natürlich, was in den sozialen Netzwerken so abgeht, wo einige sehr viel mehr Profil haben, als im echten Leben. Mit der plötzlichen Veröffentlichung der Sissi-Fotos des Bürgermeisters und dessen brutalem Selbstmord, schwappt der Inhalt dieser vermeintlich privaten ‚Parallelwelt‘ plötzlich ins echte Leben. Keine Geheimnisse sind mehr sicher - als ob sie das jemals vorher waren -, und unisono gilt es nur noch, einen Schuldigen zu finden und sich für diese kollektive Schmach zu rächen. Objektivität war gestern.

So wechselt der Film plötzlich, unter Auslassung einer Woche, in ein brutales „The Purge“-Szenario. Der Mob veranstaltet eine Menschenjagd auf Lily, die sich, gemeinsam mit ihren Freundinnen, mit allen Mitteln zur Wehr setzt. Da wird schon heftig an der Freigabe ab 18 gekratzt.

Insgesamt ist „Assassination Nation“ ein ungeheuer cleverer Film, der viele Denk-Anstöße im Gepäck hat, über die eben ‚nicht‘ weiter nachgedacht wird. Der große Pluspunkt ist, dass der Film seine Cleverness dem Zuschauer nicht unter die Nase reibt. Stattdessen wird ein Spiegel vorgehalten und die bestehende Realität nur ein winziges Stück weitergesponnen.

Auch visuell ist der Film alles andere als Standardware. Nassforsch kombiniert Levinson, je nach Handlungsabschnitt, ganz unterschiedliche Stilmittel. Farbgesättigte Videoclip-Ästhetik, Splitscreen, Western-, Exploitation- und Slasher-Standards. Höhepunkt in dieser Hinsicht ist eine lange Szene, in der die Kamera von außen immer wieder eine Hauswand entlang streicht, so dass man durch die Fenster die Aktivitäten verschiedener Personen im Inneren sieht, gleichzeitig aber auch, wie sich außerhalb des Hauses maskierte Personen formieren.

Darüberhinaus sind die vier Hauptdarstellerinnen ausgesprochen gut besetzt und liefern absolut überzeugende Leistungen ab, auch wenn Em und Sarah charakterlich sehr blass bleiben. Die Damen sind landläufig (noch) nicht so bekannt, so dass die Rollen nicht hinter ihren Darstellerinnen verschwinden.

„Assassination Nation” ist ein intelligenter und außergewöhnlicher Film über die Mechanismen und Auswirkungen einer modernen Massenhysterie, der sich jeglicher Charakterisierung entzieht.


BD-Facts:
Bild: 2,40:1 (16:9 anamorph)
Ton: deutsch Dolby Digital 5.1, englisch Dolby Digital 5.1
Untertitel: deutsch

BD-Extras:
Entfernte Szenen, Featurette