Lucinda Riley: Der verbotene Liebesbrief (Hörbuch)
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- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Montag, 03. Juni 2019 20:32
Lucinda Riley
Der verbotene Liebesbrief
(The Love Letter, 2017)
Übersetzung: Sonja Hauser und Ursula Wulfekamp
Lese-Fassung: Anke Albrecht
Gekürzte Lesung von Simone Kabst
Hörverlag, 2017, 2 mp3-CDs, ca. 839 Minuten; ca. 11,99 EUR, ISBN 978-3-8445-2693-6
Rezension von Irene Salzmann
Die junge Journalistin Joanna Haslam wird zur Beerdigung des berühmten Schauspielers Sir James Harris geschickt, um über dieses Ereignis einen Artikel zu schreiben. Während des Trauergottesdienstes erleidet die alte Dame, die neben ihr in der Bank sitzt, einen Schwächeanfall und Jo fühlt sich verpflichtet, sie nach Hause zu bringen. Sie hätte diesen Vorfall schnell vergessen, wäre nicht einige Tage später ein Brief von jener Frau in der Redaktion eingetroffen, in dem Jo um einen baldigen Besuch und große Vorsicht gebeten wird, denn was sie zu berichten hätte, wäre höchst brisant. Dem Schreiben liegen außerdem ein Liebesbrief und eine alte Theaterkarte bei.
Als Jo vergeblich an der Wohnung klingelt, erfährt sie von der Nachbarin, dass die Dame vor Kurzem tödlich verunglückt ist. Obwohl diese keine Angehörigen hatte, wurden die Zimmer bereits leergeräumt und extrem gründlich gereinigt. Noch merkwürdiger ist, dass die Leiche nirgends eingeliefert wurde und keiner mehr als den Vornamen der Toten, Rose, kennt. Es kommt aber noch schlimmer, denn Jo findet ihre eigene Wohnung völlig verwüstet vor: Hat etwa jemand den Brief gesucht?
Jo vertraut sich ihrem langjährigen Freund aus Kindheitstagen an, bei dem sie unterkommt, bis sie sich neu eingerichtet hat. Simon Warburton, ein Beamter, bietet ihr an, den Brief von einem Kollegen untersuchen zu lassen. Sie willigt ein und sieht wenig später die Warnung ihres Chefredakteurs bestätigt, dass sie in dieser Angelegenheit niemandem vertrauen dürfe, denn angeblich wurde der Brief so stark beschädigt, dass er unrettbar verloren ging.
Von Simon bitter enttäuscht, wendet sich Jo Marcus Harris zu, dem erfolglosen, skandalumwitterten Enkel von Sir James, den sie durch ein Interview kennenlernt, das sie nutzt, um mehr über dessen Familie und insbesondere den Großvater zu erfahren, denn zwischen ihm und Rose besteht offenbar eine Verbindung. Anhand eines Fotos und dem, was ein alter Schauspielkollege Marcus‘ Schwester Zoé über Sir James‘ Vergangenheit erzählte, können sie weitere Puzzle-Stücke zusammenfügen.
Doch auch von Marcus fühlt sich Jo hintergangen, weil er darüber schwieg, dass er Geld von einem Geheimdienstagenten angenommen hat, um das Rätsel des Briefs zu lösen. Sie glaubt obendrein, dass er es gewesen ist, der der Presse verraten hat, mit wem Zoé insgeheim liiert ist, ein Vertrauensbruch, den Simon im ersten Zorn Jo anlastet, da er sich in die aufstrebende Schauspielerin, zu deren Personenschutz er abbestellt wurde, verliebt hat, obwohl er sich keinerlei Hoffnungen erlauben darf.
Jos Leben ist ein einziges Trümmerfeld, und nachdem es bereits ein zweites Todesopfer gegeben hat, muss auch sie bangen. Am liebsten würde sie alles einfach hinschmeißen und für die Zeitung nur noch in ihrem gegenwärtigen Ressort, in das sie zwangsversetzt wurde, über Gärten und Tiere schreiben. Aber ihr ist klar, dass sie sich eines Tages wird Vorwürfe machen, wenn sie dieser Geschichte über eine verbotene Liebe, in die höchste Kreise involviert sind, nicht nachgeht und die Opfer ungesühnt vergessen werden.
Lucinda Riley („Der Engelsbaum“, „Das Orchideenhaus“, „Die Mitternachtsrose“ und so weiter) ist dafür bekannt, dass sie bevorzugt komplexe Familien-Dramen und Thriller verfasst, deren Handlung sich über mehrere Jahrzehnte erstreckt, so dass die Akteure der Gegenwart die Vergangenheit aufrollen müssen, um Stück für Stück die Hinweise für die Auflösung alter Geheimnisse zusammenzutragen, die sie belasten oder die für sie eine Gefahr darstellen. Es gibt mehrere Handlungs-, mitunter auch Zeitebenen und entsprechend viele Protagonisten, deren Wege sich kreuzen.
In „Der verbotene Liebesbrief“ wird Joanna Haslam als Außenstehende durch reinen Zufall in eine äußerst gefährliche Angelegenheit verstrickt. Zunächst schlägt sie die Warnungen ihres Chefredakteurs in den Wind, denn eine brisante Enthüllungsstory würde ihren Namen mit einem Schlag bekannt machen. Doch dann bekommt sie es aufgrund verschiedener Vorkommnisse immer mehr mit der Angst zu tun und muss erkennen, dass sie nicht einmal den Menschen vertrauen darf, die sie für ihre besten und aufrichtigen Freunde hielt.
Simon Warburton ist nicht der kleine Beamte, der er vorgibt zu sein, und Jos Lover Marcus Harris scheint sich durch sein Handeln als der oberflächliche Frauenheld und Egoist zu entlarven, vor dem sie gewarnt wurde. Auch Zoé und Marcus schliddern in die Sache hinein, weil sie mehr über die unbekannte Seite ihres Großvaters erfahren wollen. Während Zoé einen mächtigen Beschützer hat, wird Marcus ebenso wie Jo vom Geheimdienst als nützlicher Zuträger von Informationen erachtet - und als entbehrlich, sollten die beiden zuviel herausfinden und durch ihr Wissen zu einer Bedrohung werden.
Als Leser/Hörer macht man sich anhand der Andeutungen seine Gedanken, verwirft erste Vermutungen, stellt dank weiterer Erkenntnisse neue an, landet so manchen Treffer, wird aber auch durch falsche Fährten überrascht, wie beispielsweise im Fall von Zoés Trennung vom Vater ihres Sohnes noch vor dessen Geburt und den falschen Namen beziehungsweise Identitäten jener, die die Wahrheit kannten. Zum Ende hin spitzt sich alles derart zu, dass ein Happy End nicht mehr denkbar ist. Doch wieder gibt es eine Wende, die man vielleicht zur Hälfte erwartet hat, und einen Epilog der Genugtuung, in dem den skrupellosen Geheimdienstmitarbeitern ein gezielter Nadelstich verpasst wird.
Obwohl die Geschichte spannend erzählt ist und man sich leicht in die Hauptfiguren hineinversetzen kann, macht sich doch ein gewisses Schema bemerkbar. Die Autorin wechselt regelmäßig die Perspektive und schildert, was vor allem Jo, Simon, Marcus und Zoé erleben. Es geschieht stets dann, wenn die Spannung steigt, weil eine Enthüllung bevorsteht, es gefährlich wird oder sich sonst etwas Dramatisches anbahnt. Manchmal weiß man nicht gleich, welchen Sinn eine scheinbar banale Szene hat, die zwischen die Recherchen geschoben wird, doch irgendwann ergeben sich auch hier Entwicklungen, die mit dem Geheimnis aus der Vergangenheit zu tun haben und diejenigen, die es enträtseln wollen, voranbringen.
Der Handlungsaufbau erfolgt sehr langsam und sorgsam, ist sehr detailliert und natürlich auch mit persönlichen Konflikten und Beziehungsproblemen ausgeschmückt. Letztendlich müssen alle Beteiligten schwierige Entscheidungen treffen, über sich hinauswachsen, Verluste erleiden und so Manches aufgeben. Wer überlebt, für den ist das Ende zugleich ein neuer Anfang.
Die Hauptfiguren werden sehr ausführlich und emotional beschrieben. Die übrigen Charaktere erfüllen ihre Rollen, indem sie Jo und Marcus Steine in den Weg legen oder Wissen weitergeben und deswegen mitunter ermordet werden. Es werden aber auch Klischees bedient wie das des alten Redakteurs, der es vor dem Ruhestand noch mal wissen will, oder Zoés geheimen Lover, der nach und nach vom feurigen und edlen Märchenprinzen zum quengelnden Ichmenschen absteigt, damit der Platz frei wird für einen anderen, der trotz allem nicht so ganz von der dubiosen Rolle, die er spielte, freikommt.
Der Vortrag von Simone Kabst (Filme: „Frei nach Plan“, „Ellas Baby“; Hörspiele/-bücher: „Der Klang des Todes“, „Der verbotene Liebesbrief“) ist lebhaft, aber es gelingt ihr nicht, die Figuren durch die Sprache wirklich individuell zu gestalten. Man hat den Eindruck, dass sie jeweils eine Stimme für junge Frauen, alte Damen und Männer hat. Jo und Zoé klingen häufig schnippisch oder jammern, die reiferen Protagonistinnen wirken gesetzt und mehr oder minder schrullig, die Männer von sich überzeugt und durchsetzungsfähig, ausgenommen Marcus, der eine Weile braucht, um in sich den Helden zu wecken.
Alles in allem lauscht man dem Hörbuch gerne, während man Auto fährt, in der Küche hantiert, etwas aufräumt oder ähnlichem. „Der verbotene Liebesbrief“ ist packend und bietet einige überraschende Wendungen, so dass man neugierig Kapitel für Kapitel hört. Man sympathisiert mit den Figuren und nimmt Anteil an ihren Schicksalen. Hat man zudem eine Schwäche für Dramen in hochherrschaftlichen und Künstler-Milieus mit ein wenig „James Bond“-light, dann wird man an diesem Titel viel Spaß haben.