Venezianische Affären 1 (Comic)

Guy Raives & Éric Warnauts
Venezianische Affären 1
(Les Suites Venitiennes 1-3)
Übersetzung: Julika Herzog
Panini, 2019, Hardcover, 160 Seiten, 29,00 EUR, ISBN 978-3-7416-1288-6

Rezension von Irene Salzmann

Venedig, Mitte des 18. Jahrhunderts: Eine Serie von Morden schreckt eine Vielzahl von Bürgern auf. Die verantwortlichen Stellen sind bemüht, nichts von den Verbrechen an die breite Öffentlichkeit gelangen zu lassen und im Geheimen zu ermitteln, denn es wird befürchtet, dass Feinde von außen dem Ansehen der Stadt, die zunehmend ihre Einnahmen reiselustigen Adligen und Kaufleuten verdankt, schaden wollen.

Als nach einigen Frauen aus dem Volk eine angesehene Dame der Gesellschaft ausgerechnet in einem Haus des Senators Bragadini verstümmelt und ermordet aufgefunden wird, spitzt sich die Lage zu. Bragadini befiehlt seinem unehelichen Sohn Alessandro Beltrame, einem Lebemann mit einigen Verbindungen, gemeinsam mit Capitan Grande die Ermittlungen zu übernehmen. Beltrame weiht sogleich die beiden Frauen ein, denen sein Herz gehört.

Tshano, eine Afrikanerin, bittet ihre Götter um Beistand und gibt ihrem Geliebten kryptische Worte mit auf den Weg, die ihn schließlich wieder zu seinem Vater und einem Buch mit exquisiten Rötelzeichnungen führen. Der alte Herr hat gerade Besuch von seiner Tochter Clara, Beltrames Halbschwester, die als Novizin in einem Kloster lebt, aber weltlichen Dingen nicht abgeneigt scheint. Schließlich gesteht Bragadini, dass er alle Opfer kannte und sie seinetwegen sterben mussten um einer alten Schuld willen.

Dorina Tron, Gemahlin eines Angehörigen der Staatsinquisition, nutzt ihre Beziehungen, um Beltrame und Tshano zu retten, nachdem der Mörder sein Werk weitgehend vollendet und Beltrame belastet hat. Sie entrinnen dem Tod, müssen jedoch Venedig verlassen. In Sicherheit sind sie allerdings noch lange nicht - aber das ist eine Geschichte für die nächsten Alben.


Éric Wanaut und Guy Raives arbeiten seit „Paris Perdu“ erfolgreich als Team. Weitere Titel von ihnen sind unter anderem „Lou Cale The Famous“, „L’Orfèvre“, „Les Temps Nouveaux“.

Das Duo entführt den Leser in das prachtvolle Venedig, dessen Glanz jedoch am Verblassen ist, da zuletzt andere Nationen und Stadtstaaten wirtschaftlich erfolgreicher agierten und viele Adlige und reiche Bürger lieber dem Laster frönen und von dem Erlös leben, den sie mit ihren Besitzungen erwirtschaften. Der Karneval bietet Ausschweifungen über rund fünf Monate, und wem es noch zu wenig ist, dass in dieser Zeit alle Standesschranken fallen, findet auch im übrigen Jahr reichlich Zerstreuung in den Salons bei Kurtisanen und Glücksspielen. Diese Räumlichkeiten sind allerdings auch Orte der Kultur, des Austauschs von Informationen und Gefälligkeiten.

Aus diesem Grund lässt Senator Bragadini seinen Sohn Alessandro, dessen Rechnungen er stets begleicht, in einem Milieu Nachforschungen anstellen, das den offiziellen Ermittlern weitgehend verschlossen bleibt. Obwohl der alternde Mann ahnt, was die Morde an hübschen, jungen Frauen aus seinem Bekanntenkreis zu bedeuten haben, bricht er sein Schweigen zu spät, so dass der Mörder genug Zeit bekommt, um die perfide Rache an ihm und infolgedessen auch an Alessandro zu vollenden - für etwas, das vor rund zwanzig Jahren geschah.

Parallel zu dieser laufenden Geschichte werden dem Publikum Einblicke in eine dekadente, vergnügungssüchtige Welt erlaubt, in der es aber auch eine gut vernetzte, gebildete Elite gibt, der die Sicherheit von Venedig und seinen Bürgern wichtig ist und damit natürlich auch der Erhalt des eigenen Wohltands. Es gibt gewisse Verhaltensregeln, dank derer fast alles erlaubt ist, sofern es diskret passiert. Selbst die Kirchen und Klöster sind nicht so weltfern und keusch, wie sie sich geben. Doch wer sich der Häresie und Zauberei schuldig macht, darf keine Gnade erwarten.

So schwebt Alessandro Beltrame mit einem Fuß stets über dem Abgrund, da er sich mit einer Äthiopierin einließ, die für ihn Magie wirkt und mit ihren Prophezeiungen bisher immer recht hatte - auch diesmal. Die Figur des venezianischen Dandys erinnert an eine Mischung aus Oscar Wilde („Das Gespenst von Canterville“), der ein ausschweifendes Leben führte, Lord Byron („Manfred“), der eine Weile in Venedig lebte, bevor er sich in Griechenland den Freiheitskämpfern anschloss, und Charles Beaudelaires, Autor von „Les Fleurs du Mal“, der gleichzeitig eine dunkle und eine helle Muse verehrte.

Beltrame ist zwar die Hauptfigur, aber nicht wirklich die treibende Kraft, sondern eine der Personen, die durch Verpflichtungen getrieben wird. Die Impulse gibt in erster Linie der Mörder, dessen Identität im zweiten Teil des Sammelbandes enthüllt wird, an nächster Stelle die Gesellschaft. Er weicht notgedrungen dem Druck, denn ihm bleibt keine andere Wahl in seiner ungefestigten Position und in der heiklen Situation. Die Zeit in Venedig ist damit für ihn bis aufs Weitere vorbei, und eine ungewisse Zukunft in der Fremde liegt vor ihm.

Die Geschichte wurde in zumeist düsteren, detailreichen Bildern in einem aquarellhaften Stil umgesetzt. Das Cover bietet eine gute Vorschau auf den Inhalt. Die Zeichnungen sind sehr realistisch und zeigen sowohl schöne und junge als auch alte und weniger schöne Menschen. Die Hintergründe, ob es sich nun um die Stadt-Ansichten, einzelne Gebäude, die Kanäle mit den Gondeln, Räume, Mobiliar oder Gewänder handelt, wirken zwar wie mit leichter Hand gezeichnet, stecken aber voller aufwändiger, verspielter Einzelheiten und sind stimmungsvoll koloriert.

Schätzt man historische Comics, die phantastische und Krimi-Elemente einbinden, wird man an „Venezianische Affären“ viel Freude haben, da die Geschichte spannend ist, die Charaktere überzeugen und die Illustrationen voller Feinheiten sind, so dass man dem Band fasziniert bis zu einem Ende folgt, das neugierig auf die Fortsetzung macht.