Jane Austen: Lady Susan (Hörbuch)

Jane Austen
Lady Susan
Ungekürzte Lesung von Eva Mattes
Übersetzung: Ursula und Christian Grawe
Regie: Vera Teichmann 
Argon, 2017, 2 CDs, ca. 155 Minuten, 15,00 EUR, ISBN 978-3-8398-1566-3

Rezension von Irene Salzmann

Die britische Autorin Jane Austen (1775-1817) wurde bekannt durch ihre Gesellschaftsromane, darunter „Stolz und Vorurteil“, „Emma“ und „Die Abtei von Northanger“. Sie wuchs als siebtes von acht Kindern auf in einer nicht sonderlich begüterten, aber gebildeten Familie, so dass sie Förderung erfuhr, als sie im Alter von 12 Jahren durch ihre Liebe zur Literatur und schriftstellerisches Talent auffiel. Sie blieb unverheiratet und erlangte durch die Veröffentlichung ihrer Werke erst wenige Jahre vor ihrem Tod ein gewisses Auskommen.

Das vorliegende Hörbuch „Lady Susan“ beruht auf einem Roman, dessen Entstehung man um das Jahr 1794 vermutet; veröffentlicht wurde er posthum 1871. Man nimmt an, dass Personen aus dem Umfeld von Jane Austen die Vorlage für die Titelfigur und die weiteren Charaktere lieferten.


Lady Susan Vernon ist eine äußerst attraktive und eloquente Mittdreißigerin, seit kurzem Witwe und auf der Suche nach Mitteln - präziser: reichen Männern, um ihren bisherigen Lebensstil nicht einschränken zu müssen. Zwar liegen diese ihr zu Füßen, doch nicht jeder ist ein Heiratskandidat, der ihr zusagt. Notgedrungen quartiert sie sich bei ihrem Schwager und dessen Frau, Charles und Catherine Vernon, ein, die wenig begeistert darüber sind, eine Frau mit einem solchen Ruf beherbergen zu müssen. Insbesondere Catherine, die Susan schnell durchschaut, würde den unangenehmen Gast lieber heute als morgen loswerden.

Wenig später trifft Reginald De Courcy, Catherines jüngerer Bruder, auf dem ländlichen Anwesen ein und verfällt, trotz eindringlichster Warnungen, Susans Charme. Sie spielt mit ihm, erst weil sie Langeweile und die Macht dazu hat, dann weil sie weiß, dass sie Catherine dadurch verärgert. Reginald ist schon bald bereit, mit seiner Familie zu brechen, sollte sie nicht akzeptieren, dass er Susan liebt.

Er ist so besessen von ihr, dass er gar nicht merkt, dass Susans Tochter Frederica, die seit ihrer Flucht aus der Schule ebenfalls bei den Vernons wohnt und von diesen sehr geschätzt wird, für ihn Gefühle entwickelt. Die lieblose Mutter plant, das Mädchen gegen seinen Willen mit einem gutsituierten Mann, Sir James Martin, zu verheiraten, und reist mit ihr nach London, um die Ehe zu arrangieren.

Kurz darauf trifft auch Reginald in London ein und bekommt endlich die Augen geöffnet in Hinblick auf Susans wahren Charakter.


Lady Susan ist ein Briefroman (wie zum Beispiel Bram Stokers „Dracula“). Die Titelfigur und Catherine schildern die Vorgänge auf dem Anwesen ihren wichtigsten Vertrauten und erhalten von diesen regelmäßig Antwort.

Während Susan spitzzüngig über ihre ehrbaren, konservativen Gastgeber und alle weiteren Personen in ihrem Umfeld herzieht, mit ihren Eroberungen und gemeinen Intrigen prahlt, dabei grenzenlosen Egoismus und Kälte gegenüber ihrer Tochter sowie den Männern, denen sie den Kopf verdreht, zur Schau stellt, klingen in Catherines Worten die große Sorge um die Menschen mit, die von dem unerwünschten Gast früher oder später verletzt werden. Obschon sie ihren Zorn nicht verhehlen kann, bleibt sie beherrscht, um Susan nicht auch noch den Triumph zu gönnen, dass sie, Catherine, als Gastgeberin und Verwandte aus der Rolle gefallen ist.

Die Männer nehmen kleinere Rollen ein und lassen sich fast ausnahmslos von Susan blenden, die alle anderen Frauen überstrahlt. Reginald ist das Parade-Beispiel für Arglosigkeit, Aufrichtigkeit und ernste Absichten, der alle Warnungen in den Wind schlägt, selbst dann noch, als Susans wahrer Charakter in einigen Situationen, insbesondere Frederica betreffend, durchschimmert. Es bedarf des buchstäblichen Holzhammers, bis er schließlich begreift, wie übel ihm und anderen mitgespielt wurde.

Für Susan hat das letztendlich keine Konsequenzen, schließlich hat sie noch das eine oder andere heiße Eisen im Feuer. Ob man das der raffinierten Intrigantin gönnt oder nicht, ist Ansichtssache, denn in der in altmodischen Konventionen erstarrten Gesellschaft, über die sie sich lustig macht, wartet auch so mancher mit mehr Schein als Sein auf.

Ein wichtiger Aspekt, den dieser und auch andere Romane von Jane Austen thematisieren, ist der Umstand, dass die meisten jungen Frauen darauf angewiesen sind, einen Ehemann zu finden, der in der Lage ist, sie zu versorgen, und noch besser, wenn das Paar außerdem in romantischer, treuer Liebe einander zugetan ist - ansonsten mussten die ‚alten Jungfern‘ ihr Leben in Abhängigkeit von Verwandten verbringen. Da in der Realität das eine oft das andere ausschließt, blieb die Autorin selbst unvermählt, erlaubte ihren Protagonistinnen jedoch nach etlichen Irrungen und Wirrungen ein Happy End.

Nun ist „Lady Susan“ kein naives junges Mädchen mehr - diese Rolle kommt ihrer Tochter zu -, aber auch sie wünscht sich Rundumversorgung und statt Romantik einen guten und unterhaltsamen Liebhaber. Statt abzuwarten, wird sie selbst aktiv und nutzt ihr gutes Aussehen, um zu bekommen, was sie will, wobei moralische Erwägungen für sie völlig belanglos sind. Und tatsächlich trifft auf sie der Spruch zu: Frechheit siegt!

Durch diese Figur unterscheidet sich der Titel drastisch von anderen Romanen der Autorin, in der das anständige, geduldige und duldsame Mädchen irgendwann von dem zumeist älteren, geheimnisumwitterten Mann geheiratet wird.

Das Hörbuch wird spannend von Eva Mattes gelesen, deren Vortrag den Zuhörer schnell in die Handlung hineinzieht und ihn mitfiebern lässt.

Eine überzeugende Geschichte und eine gelungene Produktion!