Akram El-Bahay: Herzenmacher (Buch)
- Details
- Kategorie: Rezensionen
- Veröffentlicht: Samstag, 04. Mai 2019 10:58
Akram El-Bahay
Herzenmacher
Titelbild: Maximilian Meinzold
Ueberreuter, 2019, Hardcover, 382 Seiten, 17,95 EUR, ISBN 978-3-7641-7080-6 (auch als eBook erhältlich)
Rezension von Carsten Kuhr
Briançon liegt am A. der Welt. Zumindest glaubt der 16jährige Léo Mellino dies, der in dem Kaff bei seiner allein erziehenden Mutter aufwächst. Sein Vater ist seit Jahren verschwunden, entsprechende Nachfragen werden von seiner Mom nicht eben gerne gesehen oder positiv aufgenommen. Dass diese mit ihrer Tätigkeit als Spielzeugmacherin ihren Lebensunterhalt bestreitet, macht es für den Jungen auch nicht einfacher. Damit kann man in der Klasse nicht wirklich angeben.
Eines Nachts bekommt er mit, wie ein kleingewachsener Mann seine Mutter besucht. Ein Kunde ist dies nicht, so viel kann er aus den Fetzen, die er unfreiwillig, na gut, er hat gelauscht, mithört schließen. Dann fällt der Name seines Vaters - jetzt wird es so richtig interessant. Der Unbekannte fordert das letzte Werkstück seines Vaters, ein mechanisches Herz.
Er folgt dem Zwerg bis zu einem für die Öffentlichkeit wegen Baufälligkeit verschlossenem Kirchturm. Dabei ist der Treppenaufgang eigentlich ganz in Ordnung, wie er feststellt, als er dem Unbekannten nach oben folgt. Als er sich an einem Steinornament eines fratzenhaften Gesichts verletzt, wird er in ein Tor gezogen und findet sich übergangslos in einer verschneiten, bitterkalten Stadt wieder - und das mitten im Sommer!
Léo ist in einer Spiegelwelt gelandet, einem Ort, der seit Jahren von der Winterhexe beherrscht und mit gnadenloser Hand regiert wird. Denunziantentum, merkwürdige Vögel, die die Hexe aus missliebigen Menschen formt, helfen dieser, ihr Schreckensregime aufrecht zu halten.
Dass seine Eltern aus dieser Welt stammen, ja, dass Leo selbst über die magische Gabe, kleine Zinnmenschen, besser gesagt deren Herzen zu beleben verfügt, erfährt er, als er bei dem Ziehvater seiner Mutter Unterschlupf findet.
Dann muss er sich entscheiden: Geht er zurück in die Sicherheit seiner ihm wohlbekannten aber ach so langweiligen Welt, oder schließt er sich den Rebellen im Kampf gegen die Hexe an?
Seit einigen Jahren nun, belebt Akram El-Bahay den phantastischen Buchmarkt mit seinen Romanen. Bei Lübbe hat er zwei Trilogien veröffentlicht, die den Leser in die Welt des Orients entführten, bei Ueberreuter kommen seine Jugendbücher.
Vorliegend entführt uns der Autor in eine auf den ersten Blick gewohnte Queste. Es gilt in einer Parallelwelt an der Seite der dort Geknechteten gegen die böse Usurpatorin Partei zu ergreifen und diese letztlich, unter Opfern, zu besiegen - soweit das bekannte Grundgerüst.
Was der Autor immer wunderbar beherrscht ist, uns seine Figuren erlebbar zu machen. Wir schlüpfen ohne Mühe in die Haut des jungen Léo, können seine Motivation, seine Träume aber auch Ängste gut nachvollziehen. Dabei nutzt er eine sehr eingängige, aber auch märchenhaft angehauchte Sprache, um uns von den Besonderheiten der Spiegelwelt zu berichten.
Die Darstellung des Handlungsorts, dessen Besonderheiten insbesondere durch den ewigen, von der Hexe verantworteten Winter, unauffällig aber glaubwürdig als Hintergrund dient, nutzt er hier als faszinierende Bühne.
Anders als bei vielen seiner Kollegen geht es bei El-Bahay vorliegend nicht um Rache, sondern um Erlösung. Dabei fließt die Suche nach dem ewigen Leben ebenso in die Handlung mit ein, wie die Belebung von mechanischem Spielzeug. Und es geht darum, Verantwortung zu übernehmen. Jede Tat hat ihre Konsequenzen, die man bedenken, mit denen man letztlich leben muss. Die Befreiung der Welt birgt Gefahren und fordert Opfer, Léo stößt aber immer wieder auch quasi als Gegenpol auf Freundschaft und Opferbereitschaft. Das Märchenhafte mischt sich hier gekonnt mit der Aussage über die Kraft der Liebe und des Opfers über Vergebung und Hingabe.
So taucht man tief ein in eine Handlung, die an klassische Märchen ebenso erinnert wie an Fantasy-Romane der nicht so martialischen Art, die uns vom gerechten und aufopfernden und damit durchaus dramatisch spannenden Kampf gegen die Hexe berichtet, dabei das Augenmerk aber auf die glaubwürdige Zeichnung der Figuren legt.