Dan Simmons: Elm Haven (Buch)

Dan Simmons
Elm Haven
(Summer of Night (1991) & A Winter Haunting (2002))
Übersetzung: Joachim Körber, Friedrich Mader
Heyne 2019, Paperback, 1006 Seiten, 19,99 EUR, ISBN 978-3-453-31981-3 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Carsten Kuhr

Und es war Sommer - endlich war Sommer! Und was heißt das für die 12jährigen Schüler in Elm Haven? Richtig, sie haben Ferien. Wir schreiben das Jahr 1960, als Dale, Duane und ihre Freunde das monumentale, ehrfurchteinflößende Old-Central-Gebäude das letzte Mal verlassen. Nach den Ferien soll der alte Schulbau abgerissen, der unheimliche labyrinthische Keller aufgefüllt werden.

Dass Tabby, ein Mitschüler aus einer kinderreichen, armen Familie beim Klo-Gang in eben jenem Keller spurlos verschwindet, interessiert scheinbar niemanden. Die Erwachsenen, allen voran die Schulleitung, reden sich damit heraus, dass der Junge ausgerissen ist. Doch die Jungs von der Fahrrad-Patrouille wissen es besser! Sie kennen das Klo im verwinkelten Keller, ahnen von dem Labyrinth unterhalb dieses Kellergeschosses.

Und sie wissen, dass Tabby nicht weggelaufen ist; am letzten Schultag vor den Ferien? Das gibt doch keinen Sinn. So machen sie sich auf, den Vermissten zu suchen - und geraten nur zu bald selbst in den Fokus einer bösen Macht…

Beinahe 30 Jahre später kehrt Dale Stewart, mittlerweile Literaturdozent und Schriftsteller, nach einem Selbstmordversuch in seinen Heimatort zurück. Nachdem seine Ehe kläglich gescheitert ist, will er hier seine Vergangenheit in Form eines von ihm verfassten Buches aufarbeiten und trifft auf Freunde aus Kindertagen. Dass er sich ausgerechnet im Haus eines seiner damals unter mysteriösen Umständen getöteten Freundes einmietet, ist Zufall - oder vielleicht doch nicht?

Immer wieder stößt er in Gesprächen, Albträumen und merkwürdigen Botschaften, die auf seinem Laptop auftauchen, auf Hinweise, dass im ersten Obergeschoss des Farmhauses etwas verborgen ist - und lauert...


Dan Simmons ist ein begnadeter Erzähler. Dies zeigt sich auch bei den beiden in diesem mehr als dicken Klopper von Buch zusammengefassten Romanen.

Im ersten Teil berichtet er von einer glücklichen Kindheit, in die abrupt und brutal das Böse einbricht. Das erinnert in so manchen Ansätzen an Stephen Kings „Es“, führt aber weit über die Ausführungen Kings hinaus.

Simmons zeichnet ein auf den ersten Blick idyllisches Bild einer Kindheit im ländlichen Illinois der 60er Jahre. Hier ist die Welt noch in Ordnung - so scheint es zumindest. Hier herrscht das Recht und die Ordnung und die Bibel. Dass Vorurteile und unterschwellige Ressentiments das Handeln der Bewohner bestimmen, wird erst auf den zweiten Blick deutlich. Atmosphärisch unheimlich dicht schafft es der Autor, uns jede seiner jugendlichen Figuren begreifbar zu machen. Das geht gerade zu Beginn des Roman zulasten des Tempos, besticht dann aber durch die wundervolle Darstellung der Stadt, der Gedankenwelt der Kinder und schließlich dem Einbruch des Bösen in diese behütete Kleinstadt-Idylle.

Elf Jahre später setzte Simmons sich erneut an die Tastatur und kehrte nach Elm Haven zurück. In Rückblicken kehrt der Protagonist auch hier immer wieder in seine Jugend zurück, im Vordergrund steht das aktuell Bedrohliche, das sich immer deutlicher manifestiert.

Anders als im ersten Teil ist die zweite Geschichte weit mehr eine Horror-Erzählung als eine Coming of Age Story. Simmons greift hier Elemente der klassischen Geister-Geschichte auf, kombiniert diese mit Thriller-Versatzstücken. Der Leser schwankt, ob die geschilderten Vorkommnisse nur im Geist des psychisch angeschlagenen Erzähler existieren, oder real sind.

Störend, weil schlicht überflüssig dann, dass Simmons seinen Erzähler auf höchst reale Neo-Nazis stoßen lässt. Darüberhinaus plagt der Autor seinen Erzähler damit, sich die eigenen dunklen Seiten der Persönlichkeiten ansehen und akzeptieren zu müssen.

Auch wenn die „Fortsetzung“, die eigentlich keine wirkliche Fortschreibung is,t nicht ganz mit „Summer of Night“ mithalten kann, überzeugt die Erzählung doch als Geister-Geschichte.

Die zusammengefasste Neuausgabe der beiden Romane bietet den Lesern, die die Erstveröffentlichungen verpasst haben, die willkommene Möglichkeit, sich ein paar Tage lang wunderbar stimmig gruseln und faszinieren zu lassen - was will man Mehr?