Seanan McGuire: Der Atem einer anderen Welt (Buch)

Seanan McGuire
Der Atem einer anderen Welt
(Every Heart a Doorway / Down among the Sticks and Bones / Beneath a Sugar Sky, 2016-2018)
Übersetzung: Ilse Layer
Tor, 2019, Hardcover, 462 Seiten, 19,99 EUR, ISBN 978-3-596-29884-6 (auch als eBook erhältlich)

Rezension von Gunther Barnewald

Das vorliegende Buch enthält drei Kurzromane beziehungsweise Novellen (jeweils knapp 150 Seiten) der Autorin, die alle im gleichen „Universum” spielen und für deren erste(n) die Autorin mehrere renommierte Preise (darunter Hugo Award, Nebula Award und Locus Award) gewonnen hat.

Die Erzählungen der Autorin umweht immer ein zarter Hauch von Melancholie und ihr Niveau schwankt manchmal bedenklich zwischen poetisch-majestätisch, wunderbar kindlich und dann doch wieder trivial und kindisch.

Fühlt man sich zeitweise an L. Frank Baums Meisterwerk „Der Zauberer von Oz“ erinnert, so möchte man an anderer Stelle nur fassungslos vor Schreck über manch nahezu unerträgliche Trivialität das Lesen einstellen.

Die Autorin macht es einem nicht leicht, zumal sie in ihrer zweiten Erzählung leider viele Dinge behandelt, die in ihrer ersten Geschichte schon Thema waren, der Leser zwar die Details noch nicht kennt, jedoch den weiteren Ablauf der Handlung.

Neben diesem großen Manko neigt leider auch die dritte Erzählung zu besonderer Trivialität, auch wenn sie die Handlung endlich in Richtung Zukunft fortsetzt.


Inhaltlich geht es bei McGuires Universum um eine Welt, in der manche Kinder in ein völlig verrücktes oder besonders schräges Universum gelangen, oft ganz banal durch irgendwelche geheimnisvollen Türen. Viele gewöhnen sich an die neue Welt, fühlen sich dort wohl und Zuhause. Viele kehren niemals zurück, manche aber doch, weil sie sich verabschieden wollen von den Eltern, rausgeworfen werden aus dieser Welt, einen Fehler machen oder einfach aus Versehen zurück in eine banale Realität ohne „Magie” stolpern.

Während einige der Rückkehrer froh sind, zurück bei ihren Eltern zu sein, gibt es jedoch auch so manchen der Jugendlichen, der/die sich völlig entwurzelt fühlt, nur zurück möchte, aber den Weg nicht mehr finden kann.

Für diese erschreckten, verängstigten und frustrierten Fälle gibt es ein besonderes Internat, in das ratlose Eltern ihren Nachwuchs schicken können, nämlich „Eleanor Wests Haus für Kinder auf Abwegen”.

Eleanor West ist eine gütige alte Frau, schon fast 100 Jahre alt, obwohl sie wie 60 wirkt. Sie selbst kann immer wieder die Tür zu ihrer speziellen Welt finden und öffnen, hat aber aktuell selbst keinen Zutritt und wartet auf ihre beginnende Demenz, damit sie wieder in dieser einfach strukturierten Märchenwelt willkommen ist und für immer bleiben kann.

In der Zwischenzeit will sie anderen Jugendlichen helfen, die nicht damit zurechtkommen, in unsere langweilige magielose nüchterne Welt zurückgekehrt zu sein.

Als die junge Nancy von ihren Eltern in diese spezielle Schule geschickt wird, merkt sie schnell, dass sie unter lauter Gleichgesinnten ist. Auch wenn sie sich zurückwünscht in ihre Welt der Toten, so beginnt sie sich doch langsam zu akklimatisieren, bis ganz plötzlich ein Mord geschieht, dem bald ein weiterer folgt.

Damit die Schule nicht geschlossen werden muss und keine weiteren Opfer drohen, müssen die Jugendlichen selbst ermitteln, denn der Mörder muss einer oder eine aus dem Internat sein...


So weit, so interessant.

Während sich dann der zweite Kurzroman um die Leben und Erlebnisse eines Zwillingsschwesterpaares dreht (und leider zu viel über die beiden aus Teil 1 schon bekannt ist, weswegen sich hier Langeweile beim Lesen nur zu schnell einstellen kann), schildert Teil 3 den verrückten Versuch, die erste Tote der Morde wieder zum Leben zu erwecken, da in deren magischer Welt die Geschichte bereits weiter gelaufen ist, sie dort lebendig sein müsste, sich vieles durch ihre Taten verändert hat. Dazu reisen die Jugendlichen in eine Welt, die vollständig aus Süßigkeiten und Teig besteht, in eine bunte Zuckerbäckerwelt wie aus einem schlechten Videospiel. Begleitet werden sie von der Tochter der Toten, die wegen ihres vorzeitigen Todes ja eigentlich keine Tochter haben kann, weswegen diese Tochter auch Stück für Stück zu verschwinden beginnt.

Hier beginnt dann die Geschichte immer unglaubwürdiger und kruder zu werden, die Balance zwischen Realität und Märchenhaftigkeit zerbricht und die Geschehnisse werden immer irrealer, trivialer und abgehobener.

Wäre die ganze Konstruktion der Autorin eindeutiger märchenhafter gewesen, hätte niemand etwas einwenden können, doch viele Gegebenheiten erinnern frappant an die Realität.

Dazu kommt, dass man beim Lesen manchmal an Einrichtungen für missbrauchte, misshandelte oder vernachlässigte Kinder denken muss, denn nur selten wird der Leser das Gefühl los, dass es genau um solche Kinder (und nur diese) geht in der ganzen Geschichte.

Diese Brüche und das manchmal sehr kleinkindlich wirkende Agieren der Protagonisten stören nicht nur den Lesefluss, sie irritieren auch nachhaltig. Im Gegensatz zu L. Frank Baum gelingt es der Autorin meiner Einschätzung nach nur im ersten Teil der Geschichte, eine „glaubwürdige” (womit keine naturwissenschaftliche Glaubwürdigkeit gemeint ist) Geschichte zu erzählen und ein „kongruentes” Universum zu entwerfen.

Während sie in Teil 2 den Leser langweilt, verdirbt sie in Teil 3 alle guten Ansätze und hebt so weit ab von jedweder Logik, dass man als Leser vielleicht irgendwann nicht mehr bereit ist, jedweden Unfug zu schlucken, jedwede unglaubwürdige Wendung mitzumachen.

Der erste Kurzroman ist zweifellos sehr gute Phantastik, unterhaltsam, innovativ und gut erzählt. Hätte die Autorin sich danach anderen Themen zugewandt, wäre alles gut gewesen. So ist die vorliegende deutsche Ausgabe meiner Einschätzung nach ein gutes Beispiel dafür, dass manchmal weniger mehr ist und dass weitere „Verfeinerungen” ein gutes Rezept wirklich ruinieren können.

Auch wenn es löblich ist, dass man bei Tor alle drei Teile in einen Band gepackt hat, noch eine weitere Fortsetzung würde ich garantiert nicht lesen wollen.

Kurz gesagt: Drei Novellen, von denen nur die erste preiswürdig und gänzlich lesenswert ist.